Mittelbayerische Zeitung: Generation Engagement
Jugendliche sind endlich wieder politisch interessiert. Im Schatten dieser Menschen gibt es allerdings eine andere Gruppe, die sich übervorteilt fühlt.
Geschrieben am 15-10-2019 |
Regensburg (ots) - Angesichts der weithin sichtbaren
Schülerproteste der vergangenen Monate kommt der Titel der aktuellen
Shell-Jugendstudie nicht überraschend: "Eine Generation meldet sich
zu Wort", heißt es dort. Und die Generation, die sich da meldet, ist
eine Generation, die weitgehend in Frieden und Wohlstand aufwächst.
Die Umbrüche der Wiedervereinigung sind für sie Geschichten ihrer
Elterngeneration, politische und wirtschaftliche Stabilität und gute
Jobperspektiven prägen den Alltag der meisten: Über die
wirtschaftliche Lage und steigende Armut machen sich nur 52 Prozent
der Jugendlichen Sorgen. Folgerichtig sind es dann auch eher globale
Themen, die die Jungen beschäftigen: 65 Prozent sorgen sich über den
Klimawandel, 66 Prozent haben Angst vor Terroranschlägen und sogar 71
Prozent sind besorgt über die Umweltverschmutzung. Die heute Zwölf-
bis 25-jährigen, mit denen sich die Studie beschäftigt, sind digital
vernetzt und unabhängig wie keine andere Generation zuvor. Das gilt
auch und in besonderer Weise für die Informationsgewinnung:
Bestimmten in der Generation zuvor noch die Eltern, ob und welche
Zeitung im Haus gelesen wurde und ob abends die Tagesthemen oder RTL
aktuell im Fernsehen liefen, haben heute schon Zwölfjährige
theoretisch unbeschränkten Zugriff auf Informationen und
Einschätzungen aus allen politischen Lagern. Theoretisch, denn die
Auswahl dessen, was tatsächlich wahrgenommen wird, wird wiederum zum
einen doch wieder bestimmt durch die Prägung aus dem Elternhaus, zum
anderen aber verstärken hier soziale Netzwerke und Filterblasen den
Einfluss von Peer- und Freundesgruppen enorm. Informationen wie auch
Falschinformationen verbreiten sich, Bewegungen und Gegenbewegungen
formieren sich schneller und breiter. Gleichzeitig wächst, wer heute
jung ist, in dem Bewusstsein auf, dass er seine Meinungen immer und
überall kundtun kann - ob als Bild, als Kommentar, Like oder als
Blogeintrag. Da überrascht es nicht, dass die Forscher aktuell zu dem
Ergebnis kommen, dass diejenigen Jugendlichen, die politisch
interessiert sind, auch immer engagierter werden - und das auch im
realen Leben. Gleichsam im Schatten dieser engagierten,
zukunftsorientierten jungen Menschen allerdings gibt es auch
weiterhin eine große Gruppe von Jugendlichen, die sich
missverstanden, ungehört und übervorteilt fühlen. 71 Prozent glauben
nicht, dass sich "Politiker darum kümmern, was ich denke", 51 Prozent
glauben, die Regierung verschweige ihnen die Wahrheit (51 Prozent).
Und während 57 Prozent es gut fanden, das Deutschland viele
Flüchtlinge aufgenommen hat, hätten 20 Prozent ein Problem damit,
wenn neben ihnen eine Flüchtlingsfamilie einziehen würde - und 18
Prozent wollen nicht neben einer türkischen Familie wohnen. So wirken
die Ergebnisse der Jugendstudie wie ein Blick durch das Brennglas auf
die Zerrissenheit der Gesellschaft, die sich immer mehr wie zwischen
zwei unversöhnlichen Polen zu bewegen scheint: Greta und Trump,
Gutmenschen und Populisten, Weltverbesserer und Skeptiker. Vor allem
aber zeigen sie eines: Jene Probleme, die die Jugendlichen am
drängendsten beschäftigen, sind genau die Themen, die viele Parteien
lange ignoriert haben. Und die sie auch jetzt nur zögerlich auf die
Tagesordnung setzten, bloß um sie dann schnell mit Scheinkompromissen
wieder abzuhaken. "Eine Generation meldet sich zu Wort" - und sie hat
etwas zu sagen. Wer "Fridays for Future" bislang noch als
Teenager-Spleen abgetan hat, dem zeigt spätestens diese Studie, dass
es hier um echte Probleme geht, die tatsächlich viele Menschen
beschäftigen: einmal mehr ein Weckruf, sich endlich ernsthaft mit
ihnen auseinanderzusetzen.
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
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