Allg. Zeitung Mainz: Todesgefahr / Kommentar von Reinhard Breidenbach zu irren Selfies
Geschrieben am 21-10-2019 |
Mainz (ots) - Als Claas Relotius, der im "Spiegel" serienweise
gefälschte Reportagen veröffentlichte, in der amerikanischen
Kleinstadt Fergus Falls Impressionen für seine Lügengeschichte über
angeblich dem Rassismus und Donald Trump verfallene Bürger
zusammentrug, bot ihm die Bewohnerin Michele Anderson ein echtes,
ehrliches Gespräch an. Er habe ihr den Rücken zugedreht, so Anderson,
"er war damit beschäftigt, die amerikanische Flagge im Rathaus zu
fotografieren." Es ist kein Wunder, dass auch und gerade ein
Superfälscher wie Relotius die Magie von Bildern bewundert und
ausnutzt. Bei der Touristin, die wegen waghalsiger Selfies jetzt von
einer Reederei lebenslanges Kreuzfahrtverbot erhielt, ist die Sache
trivialer, aber im Prinzip nicht weniger schockierend. Wie übrigens
bei Millionen von Menschen und vielleicht auch bei uns selbst.
Waghalsige oder irre Selfies können ein Versuch sein, die Verbindung
zu den Lieben daheim zu halten; das Handy, früher der Fotoapparat -
das kann auch ein Mittel sein, Überwältigendes besser zu erfassen und
nicht aus lauter Faszination durchzudrehen. So weit, so
nachvollziehbar. Abstoßend bis gefährlich wird es, wenn sich
Selfie-Enthusiasten von Narzissmus und Gefallsucht peitschen lassen.
Oder von Langeweile. Der Begriff "tödliche Langeweile" kommt nicht
von ungefähr. Darüber muss sich jeder klar werden und in sich gehen.
Auch darüber, dass das Internet, inclusive Instagram, überwältigende
Vorzüge haben, aber auch zum Ort der Schamlosigkeit, des Voyeurismus
und der Menschenjagd degenerieren kann.
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Allgemeine Zeitung Mainz
Zentraler Newsdesk
Telefon: 06131/485946
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