Neue Bewertung der Kohle in der EU - Nachholbedarf für deutsche Energiepolitik?
Geschrieben am 10-05-2006 |
Essen (ots) - Die Energiepolitik in der EU und ihren Mitgliedstaaten steht vor großen Herausforderungen. Die Energieversorgung bedarf in Zukunft erheblicher Vorsorge. Mit ihrem Grünbuch über eine europäische Energiestrategie von Anfang März 2006 hat die EU-Kommission eine breite energiepolitische Debatte angestoßen, deren Tragweite allmählich ins öffentliche Bewusstsein rückt. Der Energieministerrat und der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs haben bereits erste Schlussfolgerungen im Hinblick auf eine neue "Energiepolitik für Europa" gezogen, die von den Mitgliedstaaten u.a. verlangen, ihr einheimisches Energiepotenzial stärker zu nutzen. In Deutschland wie in einigen anderen EU-Ländern gehört die heimische Steinkohle zu diesem Potenzial. Das muss sich auch in dem jetzt angestrebten Gesamtkonzept für die deutsche Energiepolitik widerspiegeln.
Im Mittelpunkt der energiepolitischen Diskussion stehen derzeit zu Recht die außenpolitischen Implikationen der Abhängigkeit von Gas aus Russland und die wirtschaftlichen Folgen der hohen Öl- und Gaspreise. Völlig hinter der internationalen Entwicklung bleibt bei uns jedoch die Diskussion des inländischen Energieangebots. Die Überschätzung des kurz- bis mittelfristigen Potenzials der erneuerbaren Energien ist ebenso teuer wie überparteilich. Die Forderung nach Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke setzt allein auf Zeit. Grüne und FDP kämpfen weiter verbissen um den Ausstieg aus der inländischen Steinkohle, egal was auch passiert. Die Grünen wollen noch nicht einmal die modernen Technologien zur Kohlenutzung ("Clean Coal") akzeptieren. Die von der Bundeskanzlerin angestoßene Debatte um ein Gesamtkonzept wird nicht an der Erkenntnis vorbeiführen, zu der auch andere Länder kommen: In den nächsten Jahrzehnten wird der Energiemix in Deutschland und in Europa ohne eine "Renaissance der Kohle" (so z.B. der ehemalige Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt) weder sicher noch wettbewerbsfähig oder umweltverträglich zu halten sein.
Klar ist, dass jedes nationale Energiekonzept in eine gesamteuropäische Perspektive eingebettet sein muss. Bereits auf dem Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates in Brüssel am 23./24.3.2006 haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten, darunter Bundeskanzlerin Merkel, einhellig festgestellt, dass Europa im Energiebereich große Herausforderungen zu bewältigen hat. Genannt worden sind u.a.: "Die anhaltend schwierige Situation auf den Öl- und Gasmärkten, die zunehmende Abhängigkeit von Importen und die bislang noch begrenzte Diversifizierung, hohe und stark schwankende Energiepreise, die weltweit zunehmende Energienachfrage, Sicherheitsrisiken für die Erzeuger- und Transitländer sowie die Transportrouten ..."
Einvernehmen bestand auf dem EU-Gipfel auch darüber, dass diese Herausforderungen neben den schon bestehenden Binnenmarkt- und Umweltschutzbestimmungen für den Energiesektor neue Antworten im Hinblick auf eine "Energiepolitik für Europa" verlangen. Dazu müsse die energiepolitische Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen verbessert werden, insbesondere auf dem Gebiet der Energieaußenpolitik. Entscheidungen über die Wahl der Energieträger und den Energiemix verbleiben zwar weiterhin in nationaler Souveränität, doch sind die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaftsorgane u.a. aufgerufen, für eine "stärkere Diversifizierung in Bezug auf externe und einheimische Energiequellen" zu sorgen und dabei auch das "einheimische Energiepotenzial zu entwickeln und zu nutzen." Denn alle Importenergien bergen zunehmende Preis- und Lieferrisiken.
Zu den einheimischen Energiequellen und zum einheimischen Energiepotenzial gehört in Deutschland wie in etlichen anderen EU-Ländern eindeutig die heimische Kohle (Steinkohle ebenso wie Braunkohle). Die Kohle spielt zwar heute keine große Rolle mehr im Wärmemarkt und bisher auch nicht im Verkehr (obwohl Treibstoffe auf Kohlebasis gut möglich sind). Aber Stein- und Braunkohle gemeinsam sichern in der EU fast ein Drittel der Stromerzeugung. In Deutschland sind es rd. 50%. Und die Steinkohle bleibt unverzichtbar für die Rohstahlproduktion sowie die Grundstoffindustrie. Zudem gibt es in Europa eine nicht nur sehr traditionsreiche, sondern auch technologisch hoch entwickelte Kohleindustrie mit 270.000 Arbeitsplätzen und einer internationalen Spitzenstellung bei den Techniken zur Kohlegewinnung und -nutzung. EU-weit gesehen ist die Kohle auch der Energieträger mit den bei weitem größten einheimischen Vorkommen. Das gilt erst recht für Deutschland, dessen technisch gewinnbare Energierohstoffreserven zu fast zwei Dritteln aus Steinkohle und einem Drittel aus Braunkohle bestehen.
Kohle repräsentiert in Deutschland zugleich mehr als 60% der gesamten faktischen heimischen Energiegewinnung. Die heimische Steinkohle hält hier nach der Braunkohle den zweiten Rang. Was in der öffentlichen Debatte hierzulande oft ausgeblendet wird: Auch nach jahrzehntelanger Anpassung leistet die Steinkohlenförderung im Ruhr- und Saarrevier immer noch einen größeren Beitrag zur Energieversorgung als die inländische Erdgas- und Mineralölgewinnung oder als alle erneuerbaren Energien zusammen. Deutschland ist bereits zu 73% von Importenergien abhängig; rechnet man die Kernkraft als "quasi-heimische" Energie: zu 61%. Einen Anteil von 61% am Steinkohlenmarkt hat heute auch schon die Importkohle.
Wenn aus Gründen der Versorgungssicherheit einheimische Energiequellen stärker genutzt und das einheimische Energiepotenzial insgesamt entwickelt werden sollen, geht das hierzulande sinnvoll nur mit der heimische Kohle einschließlich der heimischen Steinkohle. Die kostengünstige Braunkohle wird schon nahezu in vollem Umfang genutzt. Die hiesigen Erdgas- und Mineralölreserven reichen nur noch wenige Jahre. Die regenerativen Energien sollen in der Stromerzeugung in erster Linie den Versorgungsbeitrag der Kernkraft ersetzen, der nach Gesetzeslage bis 2022 - oder bei Laufzeitverlängerung entsprechend später - ausläuft und dessen Niveau dem der heimischen Braunkohle entspricht. Das werden die Regenerativen aber auch mit sehr ehrgeizigen Ausbauzielen, d.h. mit massiver staatlicher Förderung, in den nächsten Jahrzehnten nicht vollständig erreichen können. Darüber hinaus sollen sie primär helfen, die hohe Ölabhängigkeit im Verkehrs- und Wärmesektor zu reduzieren.
Eine weitere drastische Rückführung oder gar ein Auslaufen der heimischen Steinkohlenförderung als der größten nationalen Energierohstoffquelle wäre also das genaue Gegenteil der auf EU-Ebene geforderten verstärkten Diversifizierung durch heimische Energiegewinnung. Einen effektiven Sicherheitsbeitrag kann die heimische Steinkohle aber nur leisten, wenn langfristig eine Mindestproduktion (Sockelbergbau) bewahrt wird, die den Zugang zu den großen inländischen Lagerstätten aufrecht erhält und den Bergbau somit weiterhin instand setzt, als Option gegen die Weltmarktrisiken zu dienen. Das würde zugleich viele Arbeitsplätze hierzulande sichern und die heimische Entwicklungs- und Referenzbasis für die deutsche Bergbautechnik bewahren. Solange die Weltmarktpreise allerdings nicht stärker steigen, benötigt der deutsche Steinkohlenbergbau wegen seiner hauptsächlich geologisch bedingten Kostennachteile weiterhin angemessene staatliche Beihilfen - ebenso wie die auf absehbare Zeit auf staatliche Förderung angewiesenen, im Durchschnitt bislang erheblich teureren regenerativen Energien (wie etwa die Windkraft oder die Solarenergie).
Wenn nach dem nationalen Energiegipfel nun von der deutschen Energiepolitik Fragen beantwortet werden sollen wie die, welche Anforderungen sich im Hinblick auf einen ausgewogenen Energiemix ergeben oder wie sich der Anteil inländischer Energieträger erhöhen lässt, so kann die Antwort nicht in einem heimischen Auslaufbergbau liegen. Mit den europäischen und nationalen Energiezielen wäre das unvereinbar. Nur ein lebender heimischer Bergbau kann das heimische Energiepotenzial wirksam stärken und die Energiesicherheit verbessern.
Originaltext: GVST GV d. deut. Steinkohlebergbaus Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=54802 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_54802.rss2
Pressekontakt:
Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus Andreas-Peter Sitte Rellinghauser Str. 1 45128 Essen Tel.: 0201/177-4320 Fax: 0201/177-4271 E-Mail: andreas-peter.sitte@gvst.de
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