WAZ: Europa und die Finanzkrise - Erst breitbeinig - jetzt kleinlaut - Leitartikel von Knut Pries
Geschrieben am 06-10-2008 |
Essen (ots) - Der Gesamtschaden der Welt-Finanzkrise ist derzeit noch nicht annähernd zu überblicken. Aber spätestens seit dem vergangenen Wochenende weiß man: Zu denen, die in Mitleidenschaft gezogen werden, gehört auch Europa - nicht nur als Region und Standort, sondern auch als Organisation, die den Standort zu schützen hat.
Dabei gibt die EU trotz der Fanfarenstöße, die sie jetzt in eigener Sache anstimmt, kein gutes Bild ab - schlingernd im Kurs, vage in der Solidarität, inkompetent in der Kommunikation. Erst lassen die Iren eine surreale Sparbuch-Garantie vom Stapel, die auf den Versuch hinausläuft, aus der allgemeinen Verunsicherung noch Profit zu schlagen; andere - Niederländer? Franzosen? - bringen per Flurfunk die Idee eines europäischen Stützfonds in Umlauf, die prompt von den Partnern als Humbug unmöglich gemacht wird. Frankreich lädt hastig zu einem Kleingruppen-Event, den selbst Eingeladene als Aktionismus verspötteln, Deutschland verdammt den irischen Alleingang, nur um gleich darauf auf dieselbe Überholspur einzuschwenken.
Das alles ist umso unerfreulicher, als es sich in einer vermeintlichen europäischen Stärkezone abspielt. Dass die EU-Staaten außenpolitisch nur schwer zueinander finden, ist zwar immer wieder bedauerlich, wundert aber keinen mehr. Die Abstimmungsschwäche im Finanzsektor kommt hingegen als unangenehme Überraschung. Hier ging man breitbeinig, hier war man stolz, zumal in Euroland, hier fühlte man sich allemal berechtigt, über die unsoliden und konfusen Amerikaner den Kopf zu schütteln. Nun dämmert die Erkenntnis: Wir sind Nachbarn im Glashaus.
Federn gelassen haben nicht nur die üblichen Verdächtigen, Barrosos neben der Spur agierende EU-Kommission an der Spitze. Gerupft stehen auch die zuletzt als Bringer gerühmten Führungsfiguren da: Angela Merkels Wende auf der Autobahn lässt den Verdacht zurück, dass auch sie nicht mehr genau weiß, wo es lang geht. Frankreichs Supermacher Sarkozy, viel gelobt für sein entschlossenes Handeln im Georgien-Konflikt, hat mit seinem Krisengipfelchen Erwartungen geweckt, aber nicht erfüllt.
Die Enttäuschung liegt vor allem im Fehlen eines europäischen Mehrwerts bei der Krisenbewältigung. Das Übel erfasst erkennbar alle, aber jeder sucht ihm auf eigene Faust zu entwischen. Das hinterlässt einen Vertrauensschaden: Selbst wenn die Sache glimpflich ausgeht, wird das ohnehin mickrige politische Rating der EU weiter leiden. Wenn nicht, umso mehr.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
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