WAZ: Anlässlich der Finanzkrise - Was die Politik von sich lernen kann - Leitartikel von Ulrich Reitz
Geschrieben am 14-10-2008 |
Essen (ots) - Kopfnoten. Gesundheitsreform. Rentenerhöhung/-senkung. Kohlekraftwerke. Chemie-Pipelines. Gesetze werden ersonnen. Gesetze werden diskutiert. Gesetze werden gemacht. Bürger akzeptieren. Bürger demonstrieren. Bürger klagen. Gesetze werden kassiert. Und alles wieder von vorne. Zeitweise entsteht der Eindruck, Deutschland sei eine Stillstands-Republik. Verheddert im Klein-Klein, reform-, mehr noch: zukunftsunfähig. Und dann das.
Man muss sich das einmal vorstellen. Da vergehen gerade einmal zehn Tage, und die Politik rettet (hoffentlich) nicht mehr und nicht weniger als das globale Finanzsystem. Und verhindert einen weltweiten Geld-Tsunami, dessen Folgen niemand vorhersehen konnte. Nur eins war klar: Ob es am Ende hätte so schlimm kommen können wie am Schwarzen Freitag 1929, konnte guten Gewissens niemand mehr ausschließen. Es hätte jedenfalls eine Unmenge von Verlierern gegeben: Menschen hätten Geld verloren, womöglich noch mehr Menschen Job und Existenz. Ob am Ende dann unsere Demokratie hätte bestehen können, stand für einen bangen Moment infrage. Es war vielleicht so etwas wie eine geschichtliche Wendemarke. Genau wird man das erst später beurteilen können.
Nun ist, auch und gerade an dieser Stelle, oft hingewiesen worden auf die Unzulänglichkeiten in der Politik. Taktische Spielchen, Partei- statt Vertrauenspolitik, usw. Und jetzt wird uns, den Politikkonsumenten, gezeigt, wie es auch anders gehen kann, wenn die Bedrohung nur groß genug ausfällt. Worin besteht eigentlich die Leistung der Politik?
Vordergründig hat sie es geschafft, den eigentlichen Grund der Misere, die Vertrauenskrise der Banken untereinander, zu beenden. (Hoffentlich auf Dauer). Sie hat aber viel mehr erreicht: den Bürgern in diesem Moment atemlosen Erschreckens ein Stück existenzieller Sicherheit zurückgegeben. Gewiss wird die Finanzwelt morgen nicht mehr dieselbe sein wie heute. Aber ganz augenscheinlich müssen wir nun nicht mehr fürchten, unsere erlernten und gelebten Gewissheiten einzubüßen.
Alle werden aus diesem einmaligen Vorgang ihre Lehren ziehen. Vielleicht lässt sich die Politik aber inspirieren vom Erlebnis eigener Stärke. Nach dem Motto: Greife niemals in ein Wespennest. Aber wenn Du greifst, dann greife fest. Käme es so, dann wäre auch diese Großkrise eine Megachance gewesen: verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen. Die Politik müsste nur auf den Knall hören, den sie selbst erzeugt hat.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
Pressekontakt: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Zentralredaktion Telefon: 0201 / 804-2727 zentralredaktion@waz.de
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