LVZ: Symbole
Geschrieben am 15-06-2006 |
Leipzig (ots) - Von Roland Herold Darf man mit einem Schwips in aller Öffentlichkeit die deutsche Nationalhymne singen? Verstößt es gegen das politische Neutralitätsprinzip, wenn man sich die Landesflagge ans Auto heftet und damit jubelnd durch die Stadt fährt? Droht das Bewusstsein für die Aufarbeitung der Stasi-Akten unter dem Eindruck der Fußball-WM Schaden zu nehmen? Akademische Fragen, die so nur in Deutschland gestellt werden. Weil sich unsere Nachbarn in Europa beim Thema Nationalstolz weniger schwer tun. Dass dies so ist, hat historische Ursachen. Zwei Weltkriege mit Millionen von Opfern und der Holocaust liegen als historische Schuld über dem Land. Obendrein hat die Teilung im Gefolge des Kalten Krieges Selbstzweifeln und Selbstkasteiung Vorschub geleistet. Und nicht zuletzt spielt wohl auch die Mentalität eine gewisse Rolle. Die Vergangenheitsbewältigung ist bei unseren Nachbarn in Italien und Frankreich jedenfalls vergleichsweise rigoroser und deshalb auch rascher vorangeschritten. Wenn jetzt also Tausende in WM-Euphorie "Deutschland, Deutschland" skandieren, Fahnen schwenken und sich als Teil einer Nation begreifen, ist das kein Rechtsruck, sondern ein Schritt in Richtung Normalität. Zumal, wenn der Jubel in ein gemeinsames Feiern mit den Fans anderer Länder mündet. Deutschland hat reiche kulturelle Traditionen, nach wie vor wirtschaftliche Spitzenleistungen und derzeit sogar sportlichen Erfolg. Und offenbar auch Symbole dafür, mit denen sich vor allem eine neue und unbelastete Generation durchaus zu identifizieren vermag. Das kann man staunend zur Kenntnis nehmen - verwerflich ist es nicht. Wenn die GEW in diesen Zeiten Broschüren an Schulen verteilen will, um die deutsche Nationalhymne als "furchtbares Loblied" zu verurteilen, das eine Stimmung des Nationalsozialismus verbreitet, ist das historisch zu kurz gedacht. Die Hymne stammt schließlich aus der Zeit vor der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland von 1848/49. Hoffmann von Fallersleben ist nicht für Auschwitz zur Rechenschaft zu ziehen. Wer also für den Missbrauch das Opfer bestrafen will, macht es sich zu leicht. Und auf die Täter zielt das Ganze schon gar nicht. Wie will Schule schließlich dem Rechtsradikalismus unter Jugendlichen begegnen, wenn sie ihm die Themen auf diese Weise überlässt? Wie will sie Werte vermitteln, wenn sie der Identifikation mit dem eigenen Lande im Wege steht? So ist das Ganze am Ende auch noch pädagogisch kontraproduktiv. Im Ausland erwartet man von den Deutschen nicht derartige Formen der Selbstkasteiung, sondern Berechenbarkeit und Verantwortungsbewusstsein. Ein selbstbewusstes und zugleich weltoffenes Deutschland wie zu dieser Fußball-Weltmeisterschaft ist ein starkes Argument für politisches Vertrauen und für wirtschaftliche Investitionen. Auch dann noch, wenn diese WM längst vorüber ist.
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