Berliner Morgenpost: Angela Merkel gegen den Rest der Welt - Kommentar
Geschrieben am 30-11-2008 |
Berlin (ots) - Man kann Angela Merkel einiges vorwerfen, aber eines nicht: Geprotze, Geprange, konsumistische Selbstverwirklichung. Geprägt von ihrer Kindheit im Pfarrhaus, ist die Kanzlerin immun gegen die Verlockung der Shoppingcenter. Einkaufen als Freizeitbeschäftigung ist ihr fremd. Dass sie sich nach langem Zaudern nun von Maßschneiderinnen einkleiden lässt, ist eher ein vernunftgesteuertes Zugeständnis an die medialen Erfordernisse des Amtes. Barockere Mitarbeiter im Kanzleramt klagen bisweilen sogar über den "protestantischen Bescheidenheitsterror" der Chefin, die Brioni bis heute vermutlich für einen italienischen Fußballspieler hält. Der angloamerikanische Denkansatz des Konsumankurbelns mittels Steuersenkung ist der mächtigsten Frau der Welt fremd; ein halbwegs gesunder Haushalt geht als Staatsziel bei ihr allemal vor. Der Streit mit Partei- und Europa-Unionisten darüber, ob Deutschland die Verbrauchsteuern senken soll, hat neben der kulturellen aber auch eine knallharte machtpolitische Komponente für die Kanzlerin: Widerstand gegen den Rest der Welt hat sich seit jeher als Führungsinstrument bewährt. Es gilt die Regel: Kanzler gewinnen ihr Profil selten mit Harmonie, aber häufig im Konflikt. Ein heftiger Streit hat immer auch den Kollateralnutzen, Aura aufzubauen. Vor allem sein striktes Nein zum Irak-Krieg hat beispielsweise Merkels Amtsvorgänger Gerhard Schröder den Eintrag ins Geschichtsbuch gesichert. Ist der Steuerstreit auch keine Frage nach Leben und Tod, so birgt er gleichwohl großes internationales Erregungspotenzial in Zeiten globalökonomischen Bebens. Alle Welt befeuert den Binnenkonsum, nur und ausgerechnet die Deutschen geizen. Es gehört zu den Paradoxien der Politik, dass der anschwellende Protest aus Partei und Europa der Kanzlerin hilft. Jedes Gemaule aus London, Paris, Stuttgart oder Saarbrücken lässt die Kanzlerin standhafter erscheinen. Schon der Falkland-Krieg von Margaret Thatcher hat belegt, dass es in der Politik nicht immer um Sinn oder um Unsinn geht, sondern oftmals um Symbolik, den Wert der Unbeugsamkeit zum Beispiel. Im Vergleich zu Schröders Irak-Nein kann sich die CDU-Vorsitzende allerdings nicht auf den Rückhalt ihrer Partei verlassen. Die wirtschaftspolitische Linie markiert eine der empfindlichsten Bruchstellen im labilen Gefüge der Union. Schießt die Konjunktur im neuen Jahr tatsächlich in den Keller, werden die Kritiker der Kanzlerin genussvoll auf das vorweihnachtliche Zaudern verweisen. Für diesen Fall bleibt Angela Merkel allerdings immer noch die Chance, sich vom Finanzminister abzusetzen und für 2010 einen Sack voll Steuergeschenke in Aussicht zu stellen. In Zeiten des Vorwahlkampfes hat sich auch die Konjunkturpolitik in die Logik der Machtsicherung einzuordnen.
Originaltext: Berliner Morgenpost Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2
Pressekontakt: Berliner Morgenpost Chef vom Dienst Telefon: 030/2591-73650 bmcvd@axelspringer.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
173801
weitere Artikel:
- Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) schreibt zum Start des Weihnachtsgeschäftes im Einzelhandel: Bielefeld (ots) - Heller die Kassen nie klinge(l)n als zur Vorweihnachtszeit - sagt der Volksmund in wohlmeinender Abwandlung eines bekannten Advents- und Weihnachtsliedes. Darin äußert sich seitens der Wirtschaft, die letztlich wir alle sind, ob werktätig oder konsumierend, das Hoffen auf ein möglichst ertragreiches Verkaufs- und Geschenkegeschäft; auf einen Umsatzschub, der ein durchwachsenes Jahr doch noch in einem freundlicheren Licht erscheinen lassen würde. Diese Hoffnung ist genauso legitim wie die Kritik an listig ausgedachten mehr...
- Rheinische Post: Angela Merkel bleibt hart Düsseldorf (ots) - Von Martin Kessler Populismus kann man der CDU-Vorsitzenden nicht vorwerfen. Gegen die starke Grundströmung in ihrer Partei, die Steuern jetzt zu senken und damit CDU-Politik pur zu machen, hat Merkel die Führung auf ihre Linie gebracht. Dabei hat sie in der Sache nur bedingt Recht. Ihre Gegner haben aber wieder versäumt, ein klares Konzept zur Ankurbelung der Wirtschaft zu präsentieren. Da war CDU-Vize Jürgen Rüttgers mit seinem Renten-Vorstoß zugunsten langjähriger Beitragszahler erfolgreicher. Merkel verstand es mehr...
- Rheinische Post: Energie-Roulette Düsseldorf (ots) - Von Thomas Reisener Dass die Gaspreise sinken werden, ist weder ein Verdienst der Versorger, noch ein Erfolg der Wettbewerbspolitik. Es ist schlicht die Folge eines einbrechenden Rohölpreises, an den der Gaspreis in Deutschland nun mal gekoppelt ist. Und der Ölpreis hat sich in den vergangenen zwei Monaten halbiert. Also endlich Ruhe an der Energie-Front? Nein. Denn zuvor hatte sich der Rohölpreis innerhalb eines Jahres auf 140 Dollar je Fass verdoppelt. Zur Erinnerung: Als er 1973 von drei auf fünf Dollar geklettert mehr...
- Rheinische Post: Nachbeben in Indien Düsseldorf (ots) - Von Detlev Hüwel Die Bilder aus Bombay lösten weltweit Schrecken aus. Am Wochenende konnte die blutige Terror-Serie in der indischen Millionen-Metropole, der 180 Menschen zum Opfer fielen, endlich beendet werden - fürs erste jedenfalls. Doch Aufatmen kann Indien noch lange nicht. Denn das Verhältnis zum Nachbarstaat Pakistan, dem Erzfeind, bleibt zum Zerreißen gespannt. Der anscheinend unlösbare Kaschmir-Konflikt spielt dabei eine zentrale Rolle. Vieles spricht dafür, dass die islamistischen Terroristen, die mit dem mehr...
- Neue OZ: Kommentar zu Parteien / CDU / DDR Osnabrück (ots) - Rötliche Socken Mit Rote-Socken-Kampagnen hat die Union in der Vergangenheit gern Wahlkampf bestritten. Und dabei meist dezent darüber hinweggesehen, dass auch im eigenen Lager der eine oder andere einst rötlich be- und verstrickt war. Konkret: früher der DDR-CDU angehört hat. Diese Partei ist 1990 bruchlos in die westdeutsche CDU aufgenommen worden. Dabei hatte sie zuvor nicht etwa in Opposition zur DDR-Staatspartei SED gestanden, sondern war verlässliche Stütze des Systems, mit und in der man auch Karriere machen mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|