WAZ: Die Kanzlerin und die Krise - Merkels ruhige Hand - Leitartikel von Ulrich Reitz
Geschrieben am 08-12-2008 |
Essen (ots) - Ist Angela Merkel denn nun eine schlechte Krisenkanzlerin? Fehlt ihr das Entscheidungs- und Machtgen ihrer Vorgänger Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Gerhard "Basta" Schröder? Zögert und zaudert sie, wo sie entschieden führen müsste?
Erstens: Merkel ist nicht alleine unterwegs. An ihrer Seite steht nicht nur der SPD-Finanzminister. Vor Rezessions-Aktionismus warnt auch der SPD-Umweltminister. Die Große Koalition ist also einig. Ausnahme: die CSU in München. Das war aber immer schon so, unter anderem die 16 Jahre lang, die Kohl regierte.
Zweitens: Noch aus anderen Gründen ist Merkels Linie nicht unbedingt falsch. Die Physikerin analysiert naturwissenschaftlich kühl: der Ursprung der Großkrise ist eine Politik des allzu lockeren Geldes in den USA. Warum sollte ausgerechnet eine Politik des lockeren Geldes die Lösung sein?
Drittens: Jeder der vielen Vorschläge für eine Politik des offenen Geldbeutels hat gravierende Nachteile. Die SPD verlangt kommunale Programme, die CDU-Bildungsministerin mehr Geld für Schulen. Nur: ob deutsche Handwerker profitieren, ist fraglich. Öffentliche Aufträge müssen europäisch ausgeschrieben werden. Dahinter steckt nicht nur der Gedanke eines gerechten Wettbewerbs, sondern auch der, mit öffentlichem Geld vernünftig umzugehen. Weshalb sollten Oberbürgermeister einen deutschen Handwerker bevorzugen, wenn dessen Kollege aus Polen billiger arbeitet?
Viertens: Merkels europäische Rivalen Sarkozy und Brown liegen auch nicht unbedingt richtig. Die britische Mehrwertsteuersenkung hat, jedenfalls bislang, wenig bis nichts gebracht. Und Sarkos staatsplanerisches Hektikerprogramm wirkt kaum kurzfristig. Die Franzosen und Briten sind nicht klüger als die deutsche Regierung, nur weil sie schneller entscheiden. In Wirklichkeit kennt niemand einen Königsweg.
Fünftens: Mangelnden Mut wird man Merkel (und Steinbrück) kaum vorwerfen können. Immerhin stellt sie sich gegen nahezu die gesamte europäische Regierungselite und die öffentliche Meinung dazu; und riskiert obendrein ihren Ruf als Klimakanzlerin. Mit den Wölfen zu heulen ist nicht mutig. Es kann auch feige sein.
Sechstens: Merkel kann nicht anders, sie ist eben skeptisch. Sie folgt dem Kleine-Schritte-Ansatz des Politphilosophen Popper: Versuch und Irrtum, neuer Versuch, neuer Irrtum, usw. Helmut Schmidt bevorzugte denselben intellektuellen Ratgeber.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
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