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Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: Dass der Staat nicht einspringen soll, wenn Firmen sich finanziell ,,verheben", dafür plädiert Niedersachsens neuer Wirtschaftsminister Philipp Rösler i

Geschrieben am 19-02-2009

Lüneburg (ots) - Nicht vom Fach -- dieser Vorwurf hat ihrem
Kollegen in Sachen Karriere, dem neuen Bundeswirtschaftsminister
Karl-Theodor zu Guttenberg, heftige Kritik eingebracht. Auch Sie sind
als gelernter Augenarzt kein Vertreter der Wirtschaft -- ein Manko?
Philipp Rösler: Das sehe ich ganz gelassen. Aufgabe eines jeden
Ministers und auch Politikers ist es, eine Gesellschaft
mitzugestalten. Das heißt, sie brauchen Mut, Entscheidungen zu
treffen, sie müssen in der Tat kompetent sein, die richtigen
Entscheidungen zu treffen, und sie müssen die Fähigkeit besitzen,
Menschen zu motivieren, die Entscheidungen gemeinsam und erfolgreich
umzusetzen. Und gerade in der Wirtschaftspolitik ist ein innerer
ordnungspolitischer Kompass erforderlich und den habe ich, wie die
anderen Liberalen natürlich auch.
Die Bewältigung der gigantischen Finanzkrise erfordert schnelle
Maßnahmen. Wäre es national zu verantworten, das Konjunkturpaket II
aus Länderinteressen auszubremsen? Rösler: Es gibt Licht und Schatten
in diesem Konjunkturpaket. Einige Punkte sind unsinnig, weil sie aus
dem Zusammenhang gerissen sind. So versucht die Große Koalition mit
der schuldenfinanzierten Senkung der Krankenversicherungsbeiträge die
Folgen des Gesundheitsfonds zu vertuschen, der ja gerade erst zum
Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge geführt hatte. Das Ganze
verhindert eine notwendige Reform im Gesundheitswesen. Auf der
anderen Seite gibt es aber auch sinnvolle Vorschläge wie die
Investitionen in Infrastruktur und Bildung.
Weniger Steuern und weniger Schulden -- das ist doch ein Widerspruch?
Rösler: Zunächst einmal werden jetzt enorme Schulden aufgebaut: 50
Milliarden Euro. Das bedeutet, nachfolgende Generationen müssen diese
abbezahlen. Wir haben daher kritisiert, dass die Schuldenbremse erst
sehr spät kommt. An das Abbezahlen denkt man erst als Zweites und
Jahre später -- das halten wir für falsch. Dennoch ist es so, dass
alle Ökonomen der Auffassung sind, dass kreditfinanzierte
Steuersenkungen wirtschaftlich allemal besser wirken als über
Schulden finanzierte Ausgabenpakete. Und deswegen wäre es richtiger,
noch stärker an die Entlastung der Menschen zu denken.
Wie wird Niedersachsen von der Finanzspritze profitieren? Rösler:
Ingesamt sind, je nachdem wie das Paket im Detail aussehen wird, 920
Millionen Euro von Seiten des Bundes vorgesehen. Das Land und die
Kommunen gemeinsam legen noch einmal 307 Millionen Euro dazu. Das ist
unser Eigenanteil, den wir zu leisten haben. Und ebenso stellt das
Land noch mal zirka 150 Millionen Euro zur Verfügung, um
Sonderprojekte in ganz Niedersachsen zu fördern. Wir wollen damit
Investitionen in der Infrastruktur unterstützen, zum Beispiel
bauliche Maßnahmen im Schulbereich, aber auch Projekte wie eine
bessere Breitbandversorgung insbesondere im ländlichen Raum.
Wie viel Freiheiten haben die Städte und Gemeinden? Rösler: Sehr
viele Freiheiten. Ein Großteil des Geldes wird pauschal an die
Kommunen weitergegeben. 450 Millionen Euro werden nach einem
Schlüssel -- ähnlich wie der im kommunalen Finanzausgleich --
verteilt. Das heißt, die Kommunen können dort selber über die Gelder
bestimmen. Die einzige Bedingung ist, dass die Maßnahmen nicht nur
innerhalb von zwei Jahren begonnen werden, sondern auch abgeschlossen
sind. Und es müssen Maßnahmen sein, die bisher noch nicht geplant
waren, also solche, die neu hinzukommen.
Der Wirtschaftsstandort Niedersachsen liegt in Sachen Produktivität
deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Das Einkommen der Bürger ist
fünf Prozent niedriger als im Bundesvergleich. Wie kann Niedersachsen
wirtschaftlich aufholen? Rösler: Wir haben eine starke
mittelständische Struktur, und die gilt es gerade in Krisenzeiten zu
stärken. Man darf das Augenmerk nicht allein auf die großen Konzerne
lenken, sondern muss vor allem an den Mittelstand denken. Die
Bürokratie muss unsinnige Gesetze wie die, die vor drei Jahren dank
der Großen Koalition dazugekommen sind -- ich nenne da nur die
Erbschaftssteuerreform, die Unternehmenssteuerreform, das
Anti-Diskriminierungsgesetz --, rückgängig machen.
Aber Sie sprechen hier von Bundesgesetzenu Rösler: Deswegen fordern
wir ja auch mehr Entbürokratisierung. Man kann dann viel stärker und
schneller investieren, auch als Bundesland, wenn man die Chance hat,
Planungszeiten zu verkürzen. Denn diese sind gerade für große
Infrastruktur-Projekte insgesamt viel zu lang, sprich ökonomisch
unsinnig.
Nur 7,6 Prozent aller Inves"titionen in Deutschland entfielen 2006
auf niedersächsische Unternehmen, der niedrigste Wert seit 16 Jahren.
Ist Niedersachsen unattraktiv für die Wirtschaft? Rösler:
Niedersachsen ist im Gegenteil sehr attraktiv. Man muss immer auch
die eigene Leistungsfähigkeit der Unternehmen sehen. Insgesamt ist es
tatsächlich so, dass wir im Bundesdurchschnitt weniger Inves"titionen
haben als strukturstarke Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg.
Aber wir holen deutlich auf. Und ganz wichtig ist, dass der Großteil
aller Investitionen, nämlich 90 Prozent, aus dem Privatbereich kommt
und nicht aus den öffentlichen Haushalten. Also gilt es, genau diesen
privaten Bereich zu stärken.
Der JadeWeserPort war trotz vieler Querelen ein Lieblingsprojekt
Ihres Vorgängers, werden Sie es übernehmen? Rösler: Dieser
Hafenausbau ist ein sinnvolles Projekt. Gerade in Zeiten der
Globalisierung braucht man ihn, um den globalen Handel weiter zu
entwickeln. Daher sind viele Seehäfen nötig. Und da ist Niedersachsen
mit dem JadeWeserPort genau zur richtigen Zeit an der richtigen
Stelle.
Und die Konkurrenz zu Bremen und Hamburg stört nicht? Rösler: Es ist
richtig, dass man Norddeutschland als Hafenstandort insgesamt
betrachtet. Bremerhaven beispielsweise ist Luftlinie gerade einmal 30
Kilometer von Wilhelmshaven entfernt. Aber 30 Kilometer ist auch die
Kai-Länge im großen Hafen von Rotterdam. Die Konkurrenten für den
JadeWeserPort, die liegen nicht in Bremerhaven oder Hamburg, sondern
in den Niederlanden und Belgien: Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen, das
sind unsere großen Mitbewerber. Und deswegen müssen wir uns in
Norddeutschland gemeinsam diesem Wettbewerb stellen.
Also wollen Sie eine Art Vernetzung? Rösler: Genau. Wir wollen eine
norddeutsche Häfenbetrachtung und auch eine Abstimmung, damit wir mit
den internationalen Wettbewerbern wirklich Schritt halten können.
Gibt es noch weitere Schwerpunkte neben den Häfen? Rösler: Im Zuge
des Konjunkturpaketes wird das Land Niedersachsen Gelder für die
nicht-bundeseigenen Eisenbahnen zur Verfügung stellen, um wichtige
Verkehrsknotenpunkte, gerade auch im Inte"resse des JadeWeserPorts,
zu entlasten. Ich denke an die Verkehrsengpässe im Bereich
Bremen/Bremerhaven, aber auch im Bereich Hamburg-Harburg und
Lüneburg. 15 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket werden hier zur
Verfügung gestellt. Und das Land gibt selber noch einmal fünf
Millionen Euro dazu.
Welchen Kurs in Sachen Conti/Schaeffler befürworten Sie? Rösler: Hier
vertreten die Liberalen die Auffassung, dass der Staat nicht für
privates Risiko haften kann. Das Unternehmen Schaeffler hat sich ein
sehr hohes Risiko aufgeladen, indem es versucht hat, einen dreimal
größeren Konzern zu übernehmen. Das ist nicht gelungen. Aber dann
kann man auch nicht erwarten, dass der Staat dieses Risiko trägt. Das
ist nicht finanzierbar. Es wäre auch nicht richtig, denkt man an die
vielen kleinen Unternehmen, die dann fragen könnten: ,,Wer kümmert
sich um uns?"
Aber auf der anderen Seite geht es hier um viele Arbeitsplätze?
Rösler: Das beste Negativ-Beispiel ist Philipp Holzmann. Hier wurde
ein großer Konzern unterstützt, der übrigens erst einmal durch
Preisdumping kleine mittelständische Unternehmen in den Ruin
getrieben hat. Dann konnte er selber diese Preise nicht mehr halten
und geriet in Schwierigkeiten. Der Staat ist damals eingesprungen.
Trotzdem hat das alles nichts genützt. Denn wenn ein Geschäftsmodell
nicht funktioniert, dann kann ein Unternehmen auf Dauer auch mit
Staatshilfen nicht funktionieren. Und Holzmann ist 2007 endgültig
insolvent gegangen. So einen Fehler darf man nicht noch ein zweites
Mal machen.
Das Wiedererstarken der FDP insbesondere nach der Landtagswahl in
Hessen, lässt viele Liberale aufatmen. Ist der Wählergewinn wirklich
von Dauer, oder ist die FDP nur ein Durchgangslager für unzufriedene
Bürger? Rösler: Wir freuen uns natürlich über solch gute Ergebnisse
wie in Hessen. Und über gute Umfrage-Werte. Trotzdem werden wir nicht
übermütig. Und in der Tat geht es jetzt darum, die Wähler, die
offensichtlich gerade mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik der
Großen Koalition in Berlin unzufrieden sind, dauerhaft an die FDP zu
binden.
Genügt denn das Einhalten von Versprechen, um den Traum von der
18-Prozent-Partei wahr werden zu lassen? Rösler: Zunächst ist es
wichtig, dass man gerade in Krisenzeiten deutlich macht, dass
Glaubwürdigkeit in der Politik am allerwichtigsten ist. Diese gewinnt
man, indem man vor der Wahl die Dinge ankündigt, die man vorhat, auch
die Unangenehmen. Und diese nach der Wahl, wie versprochen, eins zu
eins einhält. Das ist unser liberaler Weg. Ich glaube, wir haben
erkannt, dass man gute Ergebnisse nur durch Fleiß, Solidität und
Seriosität erreichen kann. Und das wird unseren Weg markieren, auch
für die anstehende Europa-Wahl und die Bundestagswahl.
In Sachen Wirtschaft und Finanzen fühlen sich die Liberalen zu Hause.
Sie selbst werben auch für weiche Themen, fordern mehr Emotionen und
Warmherzigkeit. Wie kommt das in der Partei an? Rösler: Ich glaube,
es gibt eine große Bewegung innerhalb der FDP, und das zeigt ja auch
die Bereitschaft der Partei insgesamt zu einer Grundsatzdiskussion
über unser liberales Wertegerüst. Es ist richtig, dass wir eine gute
Wirtschafts- und Finanzpolitik haben, aber gleichzeitig ist
Liberalismus eine Lebensphilosophie, die auf viele
gesellschaftspolitische Fragen richtige liberale Antworten findet.
Und deswegen bin ich froh und stolz darauf, dass wir neben
Wirtschafts- und Finanzpolitik auch Themen wie Bürgerrechte und
Bildungspolitik wieder zum liberalen Wertekanon dazuzählen können. Es
gab viel Hickhack um die USA-Reise von Walter Hirche -- fürchten Sie
hier keinen Imageschaden? Rösler: Ich glaube, es ist gerade jetzt
deutlich geworden, wie wichtig der Wirtschaft solche
Unternehmerreisen sind. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des
Wirtschaftsministers und der Landesregierung, unserem Mittelstand im
Ausland Türen zu öffnen, gerade in schwierigen Zeiten. Nachdem die
Diskussion aufkam, hat Walter Hirche verzichtet, im Auftrag der
Landesregierung zu fahren. Aber er wird trotzdem die Reise begleiten,
auf ausdrücklichen Wunsch der Wirtschaft, die auf Hirches Renommee in
diesem Gebiet setzt.
Wenn Sie mitführen, könnten Sie sich gleich als neuer
Wirtschaftsminister einführen? Rösler: Es geht ja nicht um mich,
sondern darum, für die Unternehmen etwas zu erreichen. Und deswegen
wird jetzt für die Landesregierung der Staatssekretär Stefan Kapferer
mitfahren. Es werden ja noch weitere Unternehmerreisen folgen, so
dass ich dann selbstverständlich als Wirtschaftsminister die
erfolgreiche Internationalisierungspolitik des Mittelstandes von
Walter Hirche auch als Person weiter fortsetzen werde.
Was war Ihre erste Amtshandlung als Wirtschaftsminis"ter von
Niedersachsen? Rösler: Als Allererstes habe ich mich mit meinen
Mitarbeitern zusammengesetzt, um gemeinsam zu überlegen, wie wir es
schaffen werden, unseren Beitrag zu leisten, damit Niedersachsen gut
durch die Krise kommt. Und ein guter Minister kann immer nur so gut
sein wie seine Mitarbeiter im Ministerium. Und dort haben wir
hervorragende Mitarbeiter, und deshalb wolltel ich als Erstes mit
ihnen reden.

Das Interview führte Dietlinde Terjung

Mit freundlichen Grüßen

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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