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Landeszeitung Lüneburg: ,,Union schielt nach linkem Zeitgeist" -- Interview mit Oswald Metzger

Geschrieben am 14-05-2009

Lüneburg (ots) - Die Wirtschaftskrise verschob das politische
Koordinatensystem in der Bundesrepublik nach links. Selbst eine
Kanzlerin kann jetzt die Verstaatlichung von Banken planen. Während
in Berlin früher lediglich um Millionen gerungen wurde, pumpt die
Regierung jetzt Milliarden in die maroden Finanzmärkte. "Damit werden
die Grundsätze einer nachhaltigen Finanzpolitik mit Füßen getreten",
kritisiert Oswald Metzger den Kurs der CDU -- seiner neuen
politischen Heimat. Schuld am prinzipienlosen Opportunismus der
Politiker seien allerdings auch die Wähler, meint Metzger: "Sie
wollen betrogen werden."

Seit Jahren predigen Sie den sparsamen Staat. Entsetzen Sie die
Bankenrettungsschirme auf Pump?
Oswald Metzger: Das kann man wohl sagen. Ich könnte derzeit ständig
aus der Haut fahren. Es hat Jahre gebraucht, um Staatsverschuldung
quer durch alle Parteien zu ächten. Ich wundere mich, wie schnell die
Dämme jetzt brechen, sobald eine Bank als "systemrelevant" geadelt
wird. Das ist leider keine deutsche Untugend. Weltweit regiert die
Unvernunft, und das bringt zusätzliche Dramatik, denn unsere
Exportwirtschaft lebt davon, dass es auch zukünftig noch kaufkräftige
Kundschaft rund um den Globus gibt. Ein Großteil des künftigen
Wachstums wird verbraucht werden, um den Zinseszins der heutigen
Schuldenorgie zu tragen. Das wird die Steuer- und Beitragszahler mit
höheren Steuern und Abgaben und die Konsumenten über die
Inflationierung der Preise belasten.

Eine Grundursache der Krise verorten Sie in Ihrem jüngsten Buch
auch in der Politikerkaste. Sind Sie auch ein Opportunist, der
nichteinlösbare Versprechungen macht?
Oswald Metzger: Nein - und das, obwohl ich in den vergangenen 36
Jahren Mitglied von drei Parteien gewesen bin. Dies brachte mir aber
die Erkenntnis ein, wie sehr das politische Geschäft vom Zeitgeist,
von politischen Modeströmungen geprägt ist, wie wenig Substanz zählt
und wie stark der Hang zum Opportunismus, zur Beliebigkeit dominiert.
Auch die Union orientiert sich derzeit viel stärker am linken
Zeitgeist als an inhaltlichen Grundüberzeugungen. Bei der letzten
Bundestagswahl hatte die Union ehrlicherweise angekündigt -- und
dafür habe ich sie damals als Grüner gelobt --, dass ein Reformpaket
notwendig ist, das auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer beinhaltet.
Die Umfragewerte stürzten ab, um ein Haar hätte Schröder die Union
noch abgefangen. Die CDU zog daraus die Lehre: So viel Ehrlichkeit
vertragen die Wähler nicht. Und in der Tat will die Bevölkerung
offenkundig belogen werden, weil sie lieber an unhaltbare
Versprechungen glaubt als an harte Fakten. Leider ist Ludwig Erhards
Einschätzung in Vergessenheit geraten: Alle Wohltaten, die Politiker
den Bürgern versprechen, müssen diese vorher erst einmal selbst
erarbeiten. Dem Bürger muss klar werden, dass er Kunde des Staates
ist. Für das, was er verlangt, muss er die Rechnung bezahlen.

Wenn die Bürger angelogen werden wollen, wird dann im September
die Partei der besten Gaukler triumphieren?
Metzger: Die Wahrscheinlichkeit ist so gering nicht. Erreichen können
nur glaubwürdige Politiker die Wähler. Dazu müssten sie vorleben, was
sie fordern. Ein Beispiel: Meine Glaubwürdigkeit wäre dahin, wenn ich
mein Mandat von den Grünen beim Parteiwechsel mitgenommen hätte zur
CDU, was dieser im Stuttgarter Landtag die absolute Mehrheit
eingebracht hätte. Im Gegenzug hätte ich einen sicheren Wahlkreis für
die Bundestagswahl einfordern können. Ich habe den ehrlichen Weg
gewählt, mich in zwei Wahlkreisen der CDU-Mitgliederbasis als
Bewerber gestellt und zweimal mit Anstand verloren. Anderes Beispiel:
Nur wenn ich die allzu üppige Altersversorgung ändere, die sich
Politiker gönnen, kann ich auch darangehen, die Kaste der
Berufsbeamten auszudünnen.

Fällt Ihr Plädoyer für mehr Ehrlichkeit in die richtige Zeit --
jetzt, da die verlogenen Versprechungen der Finanzwirtschaft
aufgeflogen sind?
Metzger: Objektiv wäre die Zeit günstig, doch subjektiv wirkt es eher
so, dass die Robin Hoods unterwegs sind. Man will lieber den Reichen
nehmen, und den Armen geben, damit man bei der breiten Masse der
Bevölkerung nichts ändern muss. So umgeht man dringend nötige
Strukturreformen. Die öffentliche Diskussion hat sich komplett
gedreht. Wer vor fünf Jahren dafür plädiert hätte, die Regelsätze für
Hartz-IV-Empfänger massiv heraufzusetzen, wäre an den Medien-Pranger
gestellt worden. Heute blüht das demjenigen, der darauf hinweist,
dass wir uns diese Transferleistungen nicht uneingeschränkt leisten
können und der fordert, dass derjenige, der als Geringqualifizierter
arbeitet, mehr Geld verdienen soll als der Hartz-IV-Empfänger vom
Staat erhält -- inklusive Warmmiete und kostenfreier
Krankenversicherung. Es ist fatal, wenn sich eine wachsende
Minderheit einrichtet in Transferleistungen, ohne dass der Staat
diesen Menschen zugleich etwas abverlangt. Diese "Stilllegungsprämien
für erwachsene Bürger" sind nicht unbegrenzt finanzierbar und haben
in meinen Augen zudem etwas Entwürdigendes.

Was sagt der Marktliberale Metzger zu seiner neuen Parteifreundin,
Kanzlerin Merkel, die Banken verstaatlicht, was vor fünf Jahren auch
ein Tabu war?
Metzger: Wären die Bürgschaften von über 100 Milliarden Euro an die
Hypo Real Estate nicht vergeben worden, hätte ich die HRE über den
Jordan gehen lassen. Systemrelevant wurde diese Bank erst durch die
Riesenbürgschaften des Staates. Aber Berlin war in Zugzwang, nachdem
die Amerikaner Angst vor der eigenen Courage bekommen hatten. Erst
hatte Washington die Lehman Brothers pleite gehen lassen, dann pumpte
es Milliarden in den Markt. Nach diesem Muster verliefen bisher alle
Krisen: Letztlich sprang immer der Staat ein. Das ist aber das
falsche Signal. Wir setzen zurzeit die Risikoprämie für künftiges
hochspekulatives Handeln herunter. Es kommen zu viele Marktteilnehmer
ungeschoren davon, weil der Steuerzahler den Ausputzer gibt. Zocker
ziehen daraus die Lehre, dass in der Krise Verluste sozialisiert
werden. Eine solche Vollkaskomentalität dürfen wir nicht züchten,
sonst verschütten wir ein Grundprinzip der Marktwirtschaft: Wer die
Risiken überzieht, zahlt die Zeche.

Marktliberale Stimmen werden derzeit auch in der Union leiser. Hat
der Casino-Kapitalismus die Marktwirtschaft als Ganze diskreditiert?
Metzger: Da bin ich absolut sicher. Denken Sie an die Reaktion auf
das Buch von Friedrich Merz, das im letzten Herbst herauskam. Er hat
mit seinen Thesen völlig recht, aber bei dem Titel "Mehr Kapitalismus
wagen" hatte er in der damaligen Stimmung keine Chance. Der
Missbrauch der Marktwirtschaft durch Teile der Wirtschaftseliten hat
ein System diskreditiert, das weltweit relativ viel Wohlstand
beschert hat. Der Kritik seiner Gegner zum Trotz hat die
Globalisierung den Wohlstand der Menschheit erheblich gemehrt, Massen
aus der Armut befreit -- allein in China bis zu 400 Millionen
Menschen. Verelendung auf breiter Front infolge der Krise ist mir in
Deutschland nicht bekannt. Wir klagen hier auf einem extrem hohen
Niveau. Unsere Sozialsysteme stabilisieren die Nachfrage derart
effektiv, dass sie von ausländischen Ökonomen als eine Art drittes
Konjunkturpaket angesehen werden. Dank der Sozialsys"teme merken die
Bürger noch gar nicht, welch schwere Stre"cke wir vor uns haben. Erst
nach der Wahl -- im Herbst und Winter -- werden die Folgen der Krise
auf dem Arbeitsmarkt voll durchschlagen. Dann wird sichtbar, wie sehr
auch die Realwirtschaft leidet.

Sie nehmen für sich in Anspruch, die Parteien gewechselt zu haben,
nicht aber die Ansichten. Die CDU-Basis hat das aber nicht honoriert.
Ist Biegsamkeit eine Grundvoraussetzung für Politiker?
Metzger: Wenn man analysiert, wie Politiker heute meist in die
Politik kommen, beantwortet sich die Frage. In den ersten Jahrzehnten
der Bundesrepublik hatten viele Parlamentarier noch ein Berufsleben
vor der politischen Karriere vorzuweisen. Heute sind Abgeordnete zwar
hochqualifiziert - 80 Prozent verfügen über einen akademischen
Abschluss --, aber vielen fehlt Berufs- und Lebenserfahrung. Sie
haben nicht in ihrem akademischen Beruf gearbeitet, sondern den
direkten Weg in die Politik gesucht. In der Folge kennen sie zwar
ihre Partei gut, nicht aber die gesellschaftliche Realität. Auch
unser Wahlrecht belohnt mit den Wahlen über Listenplätze den reinen
Tunnelblick auf die Partei. Würde man aber die Zweitstimme vom
Personalvorschlag der Parteien entkoppeln, wie etwa bei den
Landtagswahlen in Bayern, könnten die Bürger Kandidaten in die
Parlamente wählen, denen sie aufgrund ihrer Lebensleistung vertrauen,
die aber auf hinteren Listenplätzen platziert wurden.

Jahrelang warben Sie für eine Öffnung der Grünen zur Union. Nun
regiert Schwarz-Grün in Hamburg. Haben Sie zum falschen Zeitpunkt die
Grünen verlassen?
Metzger: Nein. Denn die Politik der Grünen korrespondiert derzeit
nicht mehr mit ihrer Metabotschaft der Nachhaltigkeit. Wie in der
gesamten Gesellschaft schlug auch bei den Grünen das Pendel nach
links, wird ein Füllhorn neuer staatlicher Leistungen, auf Pump
finanziert, versprochen. Auch die Union rückte übrigens nach links.
Vor acht oder neun Jahren wäre ich als Ordoliberaler in der CDU fehl
am Platze gewesen, weil viele so dachten wie ich. Heute muss man
selbst in der Union den marktwirtschaftlichen Flügel stärken, der mit
Friedrich Merz seine Gallionsfigur verloren hat. Auch als
CDU-Mitglied plädiere ich weiter für schwarz-grüne Koalitionen oder
für ein Jamaika-Bündnis, obwohl solche Konstellationen derzeit höchst
unwahrscheinlich sind. Von ihren Wählerschichten her würden die
Grünen besser ins bürgerliche Lager passen als es die tendenziell
linke Funktionärsmehrheit auf Parteitagen glauben machen will.
Deshalb ist es gut, dass in Hamburg das Experiment gewagt wurde.
Bisher scheint das Ergebnis ermutigend. Die Koalition arbeitet
geräuschlos und vertrauensbildend.

Das Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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