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Berliner Morgenpost: Der Kurras, die Stasi und die Rechthaber - Kommentar

Geschrieben am 26-05-2009

Berlin (ots) - Bilder, die wehtun: Ein Mann, schon alt, in den
80ern, prostet dem Fotografen zu. Er sagt wenige Sätze. Er kennt -
das wird schnell klar - keine Reue. Näher liegt ihm offenbar das
Selbstmitleid. Aus der Distanz könnte man ihn als den Prototypen des
Dumpfdeutschen sehen, wer näher rangeht, erkennt vielleicht nur einen
armen Tor. Eine unselige Vergangenheit guckt uns da in die Augen und
trinkt Bier. Es lohnt sich immer noch hinzuschauen, genau
hinzuschauen, auch darüber zu streiten, wie so etwas eigentlich
passieren kann.
Der Mann, der da sitzt, hat ja nicht nur einem anderen, damals
jüngeren Menschen das Leben genommen. Einem Studenten, der,
vielleicht nach Irrwegen, heute Vater sein könnte, ein Opa auch, den
die Enkel lieben, und der womöglich glücklich wäre nach einem
erfüllten Leben. Der Mann, der da sitzt und trinkt, hat mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch Dutzende anderer
Menschen unglücklich gemacht, indem er sie oder ihre Liebsten
verraten, ans Messer geliefert hat. Vielleicht hat er auch dafür
gesorgt, dass viele, die sich damals in die Freiheit retten wollten,
hängen geblieben sind im Stacheldraht der Diktatur.
Karl-Heinz Kurras hat dafür nie öffentlich gebüßt, höchstens mal
heimlich, für sich allein, in ganz unglücklichen Momenten. Aber wie
er da so sitzt, traut man ihm das auch nicht zu. Es würde ihn
vermutlich überfordern, selbst das. Er ist ja nicht der Einzige
dieser Kriegsgeneration, der sich schwer tut mit Selbstkritik. Da
gibt es weiß Gott andere, hellere als Karl-Heinz Kurras.
Betrachten wir also lieber uns, die zugelassen haben, dass so viel
Leid ungesühnt bleibt. Diesseits und jenseits der Mauer gab es
schließlich eine ausreichende Menge Menschen, die zumindest jeweils
Teile des Unrechts kannten, das auf Kurras' Kappe ging. Sie alle
ließen ihn laufen anstatt ihn zur Rede zu stellen, feuerten ihn, hier
wie da, offen oder verdeckt, eher noch an mit ihren Reaktionen. Weder
im Westen, wo man sich ganz offensichtlich keinerlei Mühe gab,
vielleicht doch einmal hinter die Fassade des vermeintlich braven,
angeblich aus Notwehr um sich schießenden Polizisten Kurras zu
blicken. Noch im Osten, wo man ja seit Jahrzehnten und ganz
ungebrochen daran gewöhnt war, dass Späne fliegen mussten, wo im
Sinne der jeweiligen Staatsmacht gehobelt wurde. Da kam es nicht an
auf einen Toten mehr oder weniger. Schließlich hatte man ja Recht.
Dieser gut gepflegten Tradition schloss sich dann - jetzt wieder
westlich der Mauer - auch die Studentenbewegung an. Auch deren
führende Vertreter hatten ja, bei aller behaupteten Distanz zur
Elterngeneration, die Wahrheit für sich gepachtet. Eine Wahrheit, die
schon wieder Mitläufer anzog und Feuerköpfe, von denen die
hemmungslosesten am Ende auch zu Mördern wurden. Zu Tätern ohne Reue.
Wir, heute, hier, in einem endlich etwas besseren Deutschland, tun
gut daran, diesen bizarren, uns aber immer noch sehr nahen Irrsinn
sorgsam aufzuarbeiten, geduldig, ohne Rechthaberei, ohne Schaum vor
dem Mund.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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