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Südwest Presse: Leitartikel: S-Bahn-Schläger

Geschrieben am 14-09-2009

Ulm (ots) - LEITARTIKEL · S-BAHN-SCHLÄGER
Gewalt, die sprachlos macht

Drei Tage nach München-Solln, drei Tage, nachdem ein 50-Jähriger
für seinen Mut, dazwischen zu gehen, also für die gern beschworene
Zivilcourage, mit dem Leben bezahlt hat, drei Tage danach ist über
Gewalt zu reden. Nicht nur über die Gewalt zweier Halbwüchsiger, die
vor einer kriminellen Karriere standen und diesen Mann auf dem
Gewissen haben; auch nicht nur über die Gewalt von Amokläufern.
Sondern über die Allgegenwart von Gewalt, die so nahe liegt, ob wir
wollen oder nicht.
Es ist die Gewalt des Alltags, die sich oft umso brutaler äußert, je
düsterer die Perspektiven von Menschen sind, je schlechter ihre
Aussichten auf Erfolg in einer auf Erfolg getrimmten Gesellschaft. Es
ist die Gewalt auf Schulhöfen. Es ist die Gewalt in den Medien;
beileibe nicht nur in den neuen, also in Computertötungsspielen oder
im Internet, sondern auch die Gewalt, die eingezogen ist ins
Fernsehvorabendprogramm, grad so, als ob blutrünstige, mörderische,
todesvolle Fernsehabende nicht genügten.
Es ist die Gewalt von Kriegen, die uns wie in Afghanistan mehr und
mehr betreffen, weil deutsche Soldaten nicht nur durch Gewalt bedroht
sind, sondern aus Angst um ihr Leben selber Gewalt ausüben.
Eine Gesellschaft, die so umgeben ist von Gewalt, in der Gewalt etwas
Gewöhnliches ist, muss sich nicht wundern, wenn Gewalt wächst. Es
gibt den Kontext zwischen dieser geduldeten gesellschaftlichen Gewalt
und ihren Gewalttätern. Dennoch liefert der Zustand der Gesellschaft
für Momente, wie sie sich am Samstag auf dem S-Bahnhof in
München-Solln ereignet haben, wie in Winnenden oder Eislingen, keine
hinreichenden Erklärungen. So sehr Rufe berechtigt sein mögen nach
weiteren Verschärfungen des Waffenrechts oder nach Amok-Einsatzplänen
oder nach besserer Bildung oder mehr Erziehung durch Elternhäuser
oder nach Frühwarnsystemen an Schulen - nach jeder neuen Gewalttat
sind wir fassungslos, sprachlos, fragen nach dem Sinn. Doch die
Antwort kann nur lauten: Sinnlosigkeit. Also bleibt Ratlosigkeit.
Stilles Schweigen tritt an die Stelle des Alleserklären und
Alleserklärbaren. In Momenten, in denen die Opfer in den Mittelpunkt
rücken, während der Gedenkstunden, zeigt das Land immerhin, dass es
noch fähig ist, kollektiv zu trauern.
Doch unmittelbar danach gewinnt die Suche nach dem Sinn wieder die
Oberhand. Wenn Gewalt nicht erklärbar ist, sollte dennoch überlegt
werden, wie der Staat seine Bürger am besten vor Gewaltübergriffen
schützt, für Sicherheit sorgt. Die Bundeswehr und ihre Bündnispartner
sorgen für die Abwehr äußerer Angriffe. Eine vernünftige Wirtschaft
und Wirtschaftspolitik sollen - wenigstens in der Theorie -
ökonomische Sicherheit schaffen.
Die Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig. Natürlich hat
sie gegen Gewaltexzesse wie in München-Solln keine präventiven Mittel
zur Hand, so wenig wie schärfere Gesetze dagegen helfen würden. Doch
muss für die Polizei gelten, was die jüngste Erkenntnis über die
Bundeswehr im Afghanistan-Desaster ist: Wenn ein Land seine Soldaten
schon in den Krieg schickt, dann sollte es sie wenigstens bestens
ausrüsten; wenn ein Land von seiner Polizei erwartet, dass sie die
Bevölkerung optimal schützt, sollte es diese Polizei personell,
materiell, organisatorisch so ausstatten, dass sie gegenwärtiger sein
kann im öffentlichen Raum, an den in jeder Stadt bekannten
Brennpunkten.
Das Eine bedingt das Andere: Nur eine stark erscheinende Polizei,
eine präsente, ermutigt Menschen, zu tun, was den 50-jährigen
Münchner Geschäftsmann das Leben gekostet hat: den Mut
zusammenzunehmen, wenn's drauf ankommt. Eine Ende der Zivilcourage
wäre der Anfang vom Ende der zivilisierten Gesellschaft.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


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