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Umwelt sitzt am Katzentisch - Umweltorganisationen mahnen in 100-Tage-Bilanz der neuen Regierung stärkeres Umwelt-Engagement aller Ressorts an

Geschrieben am 04-02-2010

Berlin (ots) - Nach Ansicht der fünf großen deutschen
Umweltorganisationen BUND, DNR, Greenpeace, NABU und WWF hat die neue
Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel in ihren ersten 100
Tagen die Umweltpolitik spürbar vernachlässigt. Während sich das
Umweltministerium bemühe, seinen Aufgaben gerecht zu werden, spiele
das Thema Umwelt bei der schwarz-gelben Bundesregierung insgesamt
kaum eine Rolle. Vor allem in der Energie- und Klimapolitik, aber
auch beim Schutz der biologischen Vielfalt sei weder eine gemeinsame
Linie noch ein ressortübergreifendes Engagement aller Ministerien zu
erkennen. Ein Umbau der Wirtschafts- und Finanzpolitik sei dringend
notwendig, um die ökologische Krise abzuwenden. Die einzelnen
Ministerien für Umwelt, Wirtschaft, Agrar, Entwicklung, Verkehr und
Forschung betrieben häufig eine gegensätzliche Politik in Sachen
Umwelt. Die Umweltverbände appellierten an Bundeskanzlerin Merkel,
den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in allen Ressorts als
Priorität zu verankern.

Ein völliges Versagen attestierte DNR-Präsident Hubert Weinzierl
der schwarz-gelben Bundesregierung bei der zentralen Herausforderung,
die Wirtschafts- und Finanzkrise und die ökologische Krise gemeinsam
zu bewältigen. "Es ist schon erstaunlich, dass die neue
Bundesregierung ausgerechnet bei ihrer angeblichen Kernkompetenz, der
Wirtschafts- und Finanzpolitik so kläglich scheitert. Alte Fehler
würden einfach fortgeschrieben. Klassisches Beispiel ist das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Anstatt mit diesem weitgehend
wirkungslosen Gesetz der Hotelbranche eine Milliarde Euro an
Steuerreduzierung zu gewähren, hätte die Regierung den verringerten
Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent befristet für zukunftsweisende
Sektoren wie den ökologischen Landbau, der viele Vorteile beim
Klimaschutz und Erhalt der biologischen Vielfalt aufweist, gewähren
können", sagte der DNR-Präsident. Die Bundesregierung habe die
drängenden Fragen, wie alle diese Ausgaben gedeckt werden können,
nicht beantwortet. Bei einem Gesamtschuldenstand des Staates von 1,6
Billionen Euro, einer Neuverschuldung allein des Bundes für 2010 von
über 86 Milliarden Euro und in den nächsten vier Jahren von über 262
Milliarden Euro müsse das Steuer- und Abgabensystem nachhaltig
umgestaltet werden. Nach Auffassung des DNR seien strenge
Vorschriften zur Eindämmung des Einflusses der Banken ebenso
erforderlich, wie die Einführung einer Börsenumsatzsteuer. Ein
geringer Steuersatz von 0,1 Prozent erbringe dort ein Steueraufkommen
von mehr als 35 Milliarden Euro. Auf der anderen Seite könnten die
Ausgaben durch den Abbau umweltschäd¬licher Subventionen in Höhe von
42 Milliarden Euro nach Untersuchungen des Umweltbundesamtes im
Jahre 2006 spürbar verringert werden.

Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz
Deutschland (BUND): "Wie in anderen Politikfeldern wird deutlich,
dass die Bundesregierung auch im Umweltbereich einen Zick-Zack-Kurs
fährt. Es gibt viele Ankündigungen und Versprechen, der notwendige
ökologische Umbau der Wirtschaft aber wird auf die lange Bank
geschoben. Besonders sichtbar ist dies im Agrarsektor, wo mit
milliardenschweren Subventionen die Überproduktion und der Export von
Milch und Fleisch gefördert werden. Diese Politik macht vielen
bäuerlichen Betrieben den Garaus. Der Milchpreis ist im Keller und
die Bauern protestieren zu Recht. Unverantwortlich ist auch, dass
Schwarz-Gelb den Anbau der Genkartoffel Amflora unterstützt. Mit der
Nennung dieses Namens hat es erstmals ein konkretes
Unternehmensprodukt - in diesem Falle vom Chemieunternehmen BASF - in
den Koalitionsvertrag einer Bundesregierung geschafft. Dies zeigt,
wohin die Reise geht: die Absatzinteressen der Industrie, in diesem
Falle der Gentechnik- und Agroindustrie, bekommen Vorrang, Umwelt-,
Natur- und Verbraucherschutz bleiben auf der Strecke." Weiger warnte
auch vor der Tendenz, das Siegel "ohne Gentechnik" zu diffamieren.
Weil ihr die gentechnikfreie Lebensmittelproduktion ein Dorn im Auge
sei, bekämpfe eine unheilige Allianz aus Teilen der
Ernährungsindustrie, dem Deutschen Bauernverband und
Unions-Abgeordneten dieses Siegel. Insbesondere Bundesagrarministerin
Ilse Aigner müsse Flagge zeigen und für die weitere Durchsetzung der
"ohne Gentechnik"-Kennzeichnung eintreten. Nur dann habe der
Verbraucher Sicherheit, dass Produkte wie Fleisch, Milch und Eier
ohne den Einsatz von gentechnisch verändertem Futter produziert
werden.

NABU-Präsident Olaf Tschimpke forderte die Regierung auf, die im
Koalitionsvertrag versprochenen Bundesprogramme für Biologische
Vielfalt und Wiedervernetzung der Landschaft hochwertig, finanzstark
und schnell umzusetzen. "Diese Programme müssen sich im Haushalt des
Bundesumweltministeriums wiederfinden. Im Internationalen Jahr der
Biodiversität brauchen wir eine spürbare Trendwende für Natur und
Arten", sagte Tschimpke. "Hier ist die Bundesregierung gefordert.
Speziell die Kanzlerin und das Finanzministerium müssen den schönen
Worten nun Taten und Gelder folgen lassen", so Tschimpke weiter.
Zudem müsse das Agrarministerium Mittel für Naturschutz- und
Klimaschutzmaßnahmen umwidmen. Zuletzt habe die Grüne Woche wieder
gezeigt, dass Deutschland auch von einer Klimaschutzwende in der
Landwirtschaft noch weit entfernt sei. "Außer Lippenbekenntnissen
soll es keine verbindlichen Ziele und Maßnahmen geben. Dabei trägt
die Zerstörung von Mooren und Grünland sowohl zum Verlust der
biologischen Vielfalt als auch zu rund 40 Prozent der
Treibhausgas-Emissionen durch die Landwirtschaft bei", kritisierte
Tschimpke.

Für Greenpeace gibt die Bundesregierung beim Thema Atomkraft nach
100 Tagen ein konfuses Bild ab. "Umweltminister Röttgen bezeichnet
den Atomausstieg als unumkehrbar, während Wirtschaftsminister
Brüderle die Reaktoren am liebsten noch 20 Jahre länger am Netz
lassen würde. Und Kanzlerin Merkel geht bei diesem Thema lieber auf
Tauchstation", stellte Greenpeace-Geschäftsführerin Brigitte Behrens
fest. Sie warnte die Bundesregierung vor einer Verlängerung der
Reaktor-Laufzeiten. "Die Mehrheit der Bundesbürger ist gegen längere
Laufzeiten. Sie bedeuten noch mehr Atommüll, von dem niemand weiß,
wohin damit. Sie erhöhen die Gefahr terroristischer Anschläge mit
unabsehbaren Folgen, und sie behindern massiv den Ausbau der
Erneuerbaren Energien." Mit seinem blinden Pro-Atom-Kurs unterbinde
Wirtschaftsminister Brüderle auf Jahre den Wettbewerb im Strommarkt
und blockiere mittelständische Energieunternehmen. "Die
Wahlversprechen der FDP, man werde sich gegen die Monopole der
Stromkonzerne stellen und den Mittelstand fördern, waren nur heiße
Luft", so Behrens. Inakzeptabel sei auch, dass die Regierung erstmals
seit zehn Jahren wieder den Neubau von Atomkraftwerken im Ausland mit
Hermes-Krediten finanziell absichern wolle. "Wer behauptet, Atomkraft
sei nur eine Brückentechnologie, zugleich aber den Neubau von
Reaktoren in Brasilien absichert, täuscht die Öffentlichkeit", so
Behrens. Positiv bewertet Greenpeace, dass die Regierung den im
maroden Schacht Asse gelagerten Atommüll vollständig wieder
zurückholen will. "Frau Merkel sollte aus dem Asse-Skandal Lehren
ziehen und eine offene Endlagersuche starten, statt sich weiter an
das ungeeignete Salzlager in Gorleben zu klammern", so Behrens.

In Sachen Klimaschutz komme die Bundesregierung nicht aus den
Startlöchern, kritisierte der WWF Deutschland. Zwar habe sich die
Regierung mit der Festlegung, den Treibhausgas-Ausstoß bis 2020 um 40
Prozent gegenüber 1990 unkonditioniert senken zu wollen, gut
positioniert. Es bleibe jedoch völlig unklar, wie dieses Ziel
erreicht werden solle. "Die Regierung muss jetzt die Weichen stellen,
damit wir zur Mitte des Jahrhunderts den Treibhausgasausstoß auf fast
Null fahren können", betonte WWF-Vorstand Eberhard Brandes. Das werde
den Aufbau ganz neuer Infrastrukturen voraussetzen, und damit viele
zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen. In der WWF-Studie "Modell
Deutschland" werde vorgerechnet, wie dieses Ziel erreicht werden
könne. Beim Klimagipfel, so der WWF, habe sich gezeigt, dass die von
der Bundesregierung unterstützte EU-Strategie, die Reduktionsziele
von Zusagen anderer Staaten abhängig zu machen, nicht getragen habe.
Sie müsse schnellstmöglich geändert werden und den wissenschaftlichen
Anforderungen entsprechend eine Reduktion von mindestens 30 Prozent
bis 2020 gegenüber 1990 beschlossen werden. Bundeskanzlerin Angela
Merkel müsse dafür sorgen, dass die EU bei den weiteren
Klimaverhandlungen nicht noch einmal so blutleer auftrete wie in
Kopenhagen. Der WWF begrüßte die Ankündigung der Bundeskanzlerin, ein
Energiekonzept für Deutschland erarbeiten zu lassen. Allerdings dürfe
dies nicht im stillen Kämmerlein mit den Managern der großen
Energieunternehmen ausgekungelt werden. Um eine breite Akzeptanz zu
finden, brauche es eine offene Diskussion und die Beteiligung der
Umweltverbände. Vor allem müssten neben der Stromversorgung alle für
den Klimaschutz wichtigen Sektoren wie der Verkehr, die
Wärmeversorgung und die Landwirtschaft berücksichtigt werden.

Originaltext: WWF World Wide Fund For Nature
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/6638
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_6638.rss2

Pressekontakt:
Jörn Ehlers, Pressestelle WWF Deutschland, Tel.: 0 30/30 87 42-12
Stefan Krug, Greenpeace Politische Vertretung , Tel. 030/ 30 88 99 0,
mobil: 0171/8780836; Jörg-Andreas Krüger, NABU-Fachbereich Natur- und
Umweltschutz, Tel. 0 30/28 49 84-16 01; Rüdiger Rosenthal,
BUND-Pressestelle, Tel.: 0 30/27 586-425; Dr. Helmut Röscheisen,
DNR-Generalsekretär, Tel.: 0160/97 209 108


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