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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Hartz-IV-Debatte

Geschrieben am 14-02-2010

Bielefeld (ots) - Für seine Äußerungen in der Hartz-IV-Debatte ist
Guido Westerwelle am Wochenende wahlweise »Marktschreier«
(Erwerbslosenforum Deutschland), »Esel« (Heiner Geißler),
»Politrowdy« (Renate Künast) und »Brandstifter« (Klaus Ernst) genannt
worden. Die nordrhein-westfälische SPD-Spitzenfrau Hannelore Kraft
sieht ihn gar »mit billigen Stammtischparolen im braunen Sumpf
fischen« und vergreift sich damit mindestens so im Ton wie der
FDP-Vorsitzende selbst.
Für Westerwelles Auftreten gibt es viele Gründe. Noch immer tut er
sich schwer mit seinem neuen politischen Ich. Ein veritabler
schwarz-gelber Fehlstart und der Absturz der Liberalen in den
Umfragewerten tun ihr Übriges. Der Eifer, mit dem der FDP-Chef den
Streit anheizt, ist so aber nicht zu erklären. Westerwelle will
verhindern, dass die Debatte auf eine möglichst großzügige Erhöhung
der Regelsätze verengt wird. So sendete er einen Ordnungsruf, der
über den Rang einer Binsenweisheit nicht hinausgereicht hätte, wäre
da nicht der bewusst unangemessene Tonfall gewesen: Alle Leistungen,
die der Staat erbringt, müssen von seinen Bürger erwirtschaftet
werden.
Das aber scheint zuletzt in Vergessenheit geraten zu sein. In der
Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise ist ein Staatsverständnis auf
dem Vormarsch, nach dem allen wohl- und keinem wehgetan wird. Frei
nach dem Motto: »Der Staat soll in allen Lagen helfen, aber mir
persönlich möglichst wenig wegnehmen.« Doch so richtig es war, dass
die Staaten in ungeheurem Ausmaß in die Märkte eingegriffen haben, um
den Kollaps zu verhindern, so richtig ist, dass die Zeche für diese
Politik noch zu zahlen ist.
Ganz und gar nicht grundlos haben die Märkte in den vergangenen zwei
Jahren viel von ihrer Anziehungskraft verloren. Exzesse von Gier und
Maßlosigkeit haben den Glauben an die Funktionsfähigkeit der
Marktwirtschaft nachhaltig beschädigt. Jedoch ist auch die neue
Staatsgläubigkeit tückisch, die quer durch alle gesellschaftlichen
Schichten und politischen Parteien sichtbar wird.
Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Er muss die Märkte
regulieren, kann sie aber nicht ersetzen. Er kann Marktrisiken
dämpfen, aber nicht außer Kraft setzen. Der Staat muss den Rahmen für
den Erfolg des Einzelnen gewährleisten, versprechen kann er ihn nicht
- jedenfalls nicht aus eigener Kraft. Tut er es doch, nimmt er bloß
seine Bürger in die Pflicht.
Wer also einen umfassenderen Sozialstaat will, muss mehr Geld
ausgeben. Das wird letztlich zu höheren Steuern führen, was auf die
wenigsten Beschäftigten motivierend wirken dürfte. Trotzdem bleibt es
bei der Frustration derjenigen, die mit Arbeit kaum mehr in der
Tasche haben als ohne. Im Gegenteil: Ihre Zahl wird sogar noch
wachsen. Schließlich steigt auch das Risiko von Nachteilen im
internationalen Wettbewerb, der auf deutsche Interessen nur begrenzt
Rücksicht nimmt.
Diese Ehrlichkeit braucht jede Diskussion über soziale Gerechtigkeit
und die Leistungsfähigkeit des Sozialstaates im 21. Jahrhundert -
andernfalls nützt auch der höflichste Ton nichts.

Originaltext: Westfalen-Blatt
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/66306
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_66306.rss2

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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