Börsen-Zeitung: Respektloser Abgang, Kommentar von Stephan Lorz zum Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler
Geschrieben am 31-05-2010 |
Frankfurt (ots) - Als die Märkte mit ihrer Attacke auf
Griechenland und andere "Wackelkandidaten" den Euro in die Krise
stürzten, gigantische Rettungspakete geschnürt und Vorschläge über
eine völlig neue Architektur der Eurozone debattiert wurden, da war
von Bundespräsident Horst Köhler - immerhin ehemaliger Chef des
Internationalen Währungsfonds (IWF) - kaum etwas zu sehen und zu
hören. Sofern er sich dann doch meldete, echauffierte er sich über
das Verhalten der Finanzmärkte und geißelte sie als "Monster". Eigene
Vorschläge zur Zähmung dieser "Monster" kamen hingegen nicht aus dem
Bundespräsidialamt. Auch vermisste man Köhler, als es darum ging, die
Kakofonie in der Bundesregierung bei der Bewältigung der Euro-Krise
zu beenden. Wo war die Wegweisung des Staatsoberhaupts, um den
handelnden Personen ihre Verantwortung für Volk und Land vor Augen zu
führen?
Und jetzt, da er wegen offenbar missverständlicher Äußerungen zu
militärischen Einsätzen in Krisengebieten unter Druck stand, wirft er
einfach den Bettel hin. Dabei ging die Kritik nicht über jenes Maß
hinaus, das Köhler bereits in seiner ersten Amtsperiode über sich
hatte ergehen lassen müssen. Trotzdem hatte er sich vergangenes Jahr
für eine zweite Amtsperiode aufstellen lassen und ist gewählt worden.
Wegen einer missverständlichen Äußerung gleich ganz aus der
Verantwortung zu fliehen, ist nichts anderes als eine Form von
Fahnenflucht und erinnert fatal an Oskar Lafontaines
Hals-über-Kopf-Rücktritt vom Amt des Finanzministers.
Köhlers Abgang ist auch deshalb verwerflich, weil er in besonders
unruhigen Zeiten vollzogen wird. Damit erweist er seinem Land einen
Bärendienst, muss sich die Bundesregierung doch jetzt neben der
Finanz- und Schuldenkrise auch noch um einen Nachfolger kümmern. An
entsprechend präsidialen Personen hat es schon immer gemangelt. Die
politische Aufmerksamkeit wird nun notgedrungen von anderen
Krisenschauplätzen abgelenkt. Noch dramatischer der Blick vom
Ausland: Inmitten der Krisen wirkt Deutschland seltsam in sich
gekehrt, geradezu handlungsunfähig. Genau jenen "Respekt", den Köhler
in seiner Rücktrittserklärung im Umgang mit dem Präsidentenamt von
anderen einfordert, vermisst man jetzt von ihm: den Respekt vor der
eigenen Verantwortung, die ihm mit dem Amt übertragen worden ist.
(Börsen-Zeitung, 1.6.2010)
Originaltext: Börsen-Zeitung
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