BERLINER MORGENPOST: Ein tiefer Einschnitt bei der Bundeswehr - Leitartikel
Geschrieben am 11-06-2010 |
Berlin (ots) - Sicherheitspolitik nach Kassenlage - das haben CDU
und CSU in ihren Oppositionsjahren der SPD wieder und wieder
vorgehalten. Bloß nicht mehr dran denken. Jetzt ist die Union
angesichts einer leeren Staatsschatulle und grundgesetzlicher Pflicht
zum Sparen (Schuldenbremse) ihrerseits sogar bereit, die Wehrpflicht
in Deutschland zum verteidigungspolitischen Auslaufmodell zu
erklären. Die hat seit 1956 zwei entscheidende Entwicklungen
befördert: die Verankerung der Streitkräfte innerhalb der
Gesellschaft und militärische Qualität durch die vielfältige
berufliche Ausbildung der Rekruten, die sich die Streitkräfte nutzbar
machen. Sie auszusetzen und damit praktisch abzuschaffen, bedeutet
die bislang einschneidendste Veränderung der Bundeswehr. Aus den
Streitkräften der Söhne des Landes wird eine Berufsarmee. Der Wandel
ist angesichts der politischen Vorgaben der schwarz-gelben Koalition
und des grundlegend veränderten Auftrags der Bundeswehr von der
Landesverteidigung zur internatonalen Einsatztruppe konsequent. Die
Wehrpflicht war lange richtig. Jetzt ist sie überholt, nicht länger
überzeugend zu verteidigen. Wenn die Koalition die gestern im
Bundestag debattierte Verkürzung der Wehrpflicht auf nur noch sechs
Monate beschließt, außerdem in der Sparklausur den
Verteidigungsminister zur personellen Abrüstung von 40.000 Soldaten
und zur Einsparung von insgesamt vier Milliarden Euro verurteilt,
bereitet sie gewollt oder ungewollt das Ende der Wehrpflicht vor. Das
Sechs-Monate-Gesetz ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt
wird. Karl-Theodor zu Guttenberg hat die Lage richtig analysiert. Und
ist zum Tabubruch bereit. Nichts anderes ist die Abschaffung der
Wehrpflicht für die Union. Der Minister macht aus der Not eine
Tugend, indem er die Strukturen der Bundeswehr den Realitäten
anpasst. In sechs Monaten sind junge Männer militärisch sinnvoll
nicht mehr auszubilden. Zu Auslandseinsätzen werden sie ohnehin nicht
abkommandiert. Gleichzeitig aber binden sie Zeit- und Berufssoldaten,
die ihnen minimale militärische Grundkenntnisse vermitteln. Diese
Profis fehlen dann für internationale Aufgaben. Angesichts der
ohnehin dünnen Personaldecke der "Volltruppe" und der
Personalreduzierung um 40.000 Zeit- und Berufssoldaten würde die
weitere Ausbildung von Wehrpflichtigen die Bundeswehr in ihrer
Einsatzkapazität weiter schwächen. Da verliert auch das Argument
Gewicht, viele Wehrpflichtige entdeckten erst beim Schnupperkurs ihr
Interesse am Soldatenberuf und verpflichten sich freiwillig weiter.
Wer A sagt, also hart sparen, der muss auch B sagen, Abschied von der
Wehrpflicht und damit zugleich vom Zivildienst. Der Minister scheint
den Mut zu diesem Paradigmenwechsel zu haben. Hoffentlich lässt die
Kanzlerin nicht auch noch Guttenberg fallen, wenn "friendly fire" auf
ihn zielt.
Originaltext: BERLINER MORGENPOST
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Telefon: 030/2591-73650
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