Westdeutsche Zeitung: Eine Teilung Belgiens ist wahrscheinlicher geworden Von Martin Vogler =
Geschrieben am 13-06-2010 |
Düsseldorf (ots) - Als sich Jugoslawien atomisierte, waren wir
fassungslos. Doch wer hätte damals gedacht, dass sich - wenn auch
gewaltfreier - bei unserem Nachbarn Belgien Vergleichbares abspielen
könnte, dass kleinstaatlich-nationalistisches Denken siegt?
Doch noch besteht Hoffnung auf ein Fortbestehen des Königreichs.
Denn im südlichen, wallonischen Bereich will sowieso kaum einer das
Ende. Bei den wirtschaftlich besser gestellten Flamen jedoch wird es
darauf ankommen, ob sie in einem Viel-Parteien-Parlament wirklich zu
konsequenten Separatisten werden. Bei ihnen sollte man die Hoffnung
auf Einsicht nicht aufgeben. Zudem stehen zwei praktische Gründe
einer Teilung entgegen: Zu welchem neuen Klein-staat würde die
Hauptstadt Brüssel gehören, in der beide Sprachgruppen vertreten
sind? Vor allem dürfte die Frage, wie man die 320 Milliarden
Staatsschulden aufteilt, schier unlösbar sein. Es klingt zynisch:
Aber vielleicht erweist sich ausgerechnet die Verschuldung als
Vorteil.
Und wenn es dennoch passiert? Dann wäre die Europäische Union ein
wahrer Segen, die für ein friedliches und routiniertes Nebeneinander
von Flamen und Wallonen sorgen könnte. Denn dank Schengen-Abkommen
müssten keine Schlagbäume errichtet werden, dank Euro bräuchte man
kein Geld drucken. Auch müsste keiner seine Arbeit aufgeben, weil er
in einem neuen Staat wohnt und im anderen arbeitet. Für den Rest
Europas wären zwei Staaten zwar verwirrend, aber keine Katastrophe.
Doch es könnte noch bunter kommen. Schon kursieren Spekulationen,
die über das Modell zweier neuer Staaten hinausgehen. Laut einer
Umfrage sind zwei Drittel der Franzosen dafür, dass der wallonische
Teil Belgiens Frankreich zugeschlagen würde. Sprachbarrieren gäbe es
keine und für die Wallonen wäre das wirtschaftlich interessant. Die
Flamen hingegen würden voraussichtlich tatsächlich lieber
eigenständig bleiben, auch wenn aus den Niederlanden bereits Lockrufe
für einen Anschluss zu vernehmen sind. Besonders abenteuerlich
klingen die Aussichten für die knapp 80 000 Deutschsprachigen rund um
Eupen und Malmedy, deren Gebiet bis zum ersten Weltkrieg zu
Deutschland gehörte. Verwegen, aber diskutiert: Ein Zusammenschluss
mit Luxemburg.
Originaltext: Westdeutsche Zeitung
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