Rheinische Post: Kommentar: Der Blues-Präsident
Geschrieben am 15-06-2010 |
Düsseldorf (ots) - Helmut Kohl wollte die Europa-Hymne, Johannes
Rau einen Bach-Choral, und Gerhard Schröder ging mit dem Sinatra-Song
"My Way". Es spricht Bände, dass sich Horst Köhler bei seinem
offiziellen Abschied durch einen Zapfenstreich der Bundeswehr gestern
Abend als persönliches Wunschlied für Blues entschied. Blues, das
steht für Ernüchterung und Enttäuschung. Und der von Köhler bestellte
"St. Louis Blues" sogar für das Erlebnis von Erniedrigung. Es gibt
darin eine Zeile, die treffend das Ende dieser Präsidentschaft
ausdrückt: "Ich pack meine Sachen und mach mich davon." Blues - vom
englischen "I am blue / Ich bin traurig": Er intoniert eine Amtszeit
der Traurigkeit. 2004 gewählt als sichtbare Vorankündigung einer
christlich-liberalen Reform-Mehrheit, stand Köhler 2005 tatsächlich
vor einer großen Koalition der kleinen Schritte. Seine Erwartungen an
Merkel und Merkels Erwartungen an ihn, sie kamen nicht überein. Eine
Parallele ergab sich erst nach beider Wiederwahl. Die Kanzlerin kam
nicht in Tritt, der Präsident ebenfalls nicht. Was sich ansonsten
alles angestaut haben mag, das zum spektakulären
Präsidenten-Rücktritt führte - die Melancholie der Melodie vermochte
uns davon gestern zumindest eine Ahnung zu geben.
Originaltext: Rheinische Post
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