Westdeutsche Zeitung: Neue Unterschicht = von Eberhard Fehre
Geschrieben am 17-10-2006 |
Düsseldorf (ots) - Plötzlich war es wieder da, das anstößige U-Wort: die "neue Unterschicht". Der Vizekanzler ordnete umgehend an, in Deutschland gebe es "keine Schichten", während sein Parteifreund Thierse noch einen drauf setzte: Man lebe eben in einer "Klassengesellschaft". Die derselben Partei nahestehenden Soziologen, die diese ganze Verwirrung ausgelöst hatten, flüchteten sich in den etwas verquasten Begriff vom "abgehängten Prekariat", was wohl nicht zufällig an das etwas in Verruf geratene "Proletariat" erinnern sollte. Schicht, Stand, Gruppe, Milieu oder Klasse - alles nur Begriffe aus der Teufelsküche beratungsresistenter Ideologen?
Natürlich nicht. Es kann ja überhaupt nicht strittig sein, dass jede Gesellschaft sich "schichtet", also strukturiert ist. Die Abgrenzung, ob nach streng ökonomischen Kriterien, mentalen Einstellungen oder formaler Qualifikation, ist letztlich nur eine Frage der Methodik. An der Realität ändert sich nichts, gleichgültig, ob der Befund nun als "Schicht", "Prekariat" oder auch - dafür muss man dann aber wohl SPD-Generalsekretär sein - "Phänomen" ausgewiesen wird. Aber es war ja gar nicht die jedermann geläufige Tatsache, dass sich moderne Gesellschaften in Schichten und Milieus strukturieren, die die neue Studie so brisant machte. Ihr Sprengstoff lag doch vielmehr darin, dass dieser Gesellschaft - oder zumindest Teilen von ihr - das verloren zu gehen droht, was uns bisher als Ausweis ihrer Überlegenheit galt: die soziale Durchlässigkeit, die Chance, aus eigener Kraft den Aufstieg zu schaffen.
Der absurde Streit um das richtige Wort scheint dabei nur verlogen. Denn wer sich so hartnäckig weigert, ein Problem beim Namen zu nennen, der weckt zumindest Zweifel daran, dass bei ihm die Lösung dieses Problems in den richtigen Händen ist.
Originaltext: Westdeutsche Zeitung Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=62556 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_62556.rss2
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