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WAZ: Horst Köhler und die anderen: Ein Sonderling - Leitartikel von Ulrich Reitz

Geschrieben am 15-12-2006

Essen (ots) - Weshalb eigentlich regen sich immerhin
Spitzenpolitiker der Großen Koalition derart auf über den
Präsidenten?

Berliner Politik heißt derzeit: Nichts ist pur, alles ist
Kompromiss. Nie geht es nur um die Sache, stets auch um
Partei-Interessen. Eine Linie gibt es nicht, es regiert das Zickzack,
wie zuletzt auf dem CDU-Parteitag, als man einen linken und einen
rechten Antrag beschloss. Es fehlt die Konsistenz: Über das
Rauchverbot hätte man auch im Rahmen der Gesundheitsreform reden
können. Über Verantwortung dem Volk gegenüber wird so gut wie gar
nicht reflektiert, dafür blumig, aber folgenlos von "Werten"
gesprochen. Bezüglich der Bildung geht es Deutschland nicht gut, das
Arbeitslosenproblem ist von einer Lösung weit entfernt, und die
Integration ist auch nicht so recht gelungen. Wer hat von den
Politikern, besonders jenen, die schon Jahre oder Jahrzehnte im
Parlament sitzen, zu der derartigen Problemlast welchen "Beitrag"
geleistet? Bei alledem gilt auch: Regieren geht heute angesichts der
globalisierten Problemlast so schnell wie noch nie, und es ist
richtig anstrengend. Hat es dann die Koalition einmal geschafft, dann
kommt, sozusagen von der Seite, völlig unerwartet und gleichsam wie
Kai aus der Kiste der Bundespräsident und sagt: Setzen, sechs. Noch
mal neu.

So schafft man sich keine Freunde. Allerdings: Wo spielt sich das
Missverständnis ab: bei Köhler oder bei seinen Gegnern?

Es gibt einiges, was Köhler von seinen Gegnern unterscheidet. Er
ist kein Berufspolitiker, sondern war Spitzenbeamter. Er ist
welterfahren, weil er viel herumgekommen ist. Und er ist ein
Pflichtmensch durch und durch. Das Kompromisslerische, auch der
unsaubere, aber typische "Deal" (tausche Agrarsubvention gegen
Steuer-Erhöhung) liegt ihm nicht, das findet er, darin jedoch im
Einklang mit dem gesamten deutschen Volk, einfach nur schrecklich.
Wenn er ein Gesetz ablehnt, dann nicht, weil er sich dadurch
profilieren will, sondern weil er es für verfassungswidrig hält.
Parteipolitik funktioniert hier genau andersherum: erst das Profil,
dann die Sache. Typisch Parteipolitik ist etwa der Glaube, Köhler
habe jetzt zwei Gesetze abgelehnt, ein drittes Mal werde er sich
nicht trauen. Wer so denkt, hat diesen Mann nicht verstanden: Der
würde - um der Sache willen - nicht nur ein drittes, sondern auch
viertes und fünftes Mal einschreiten. Köhler will ehrlich sein und
gradlinig, für ihn ist nicht alles relativ, je nachdem, wer mit wem
gerade was aushandelt. Darum fremdelt dieser Sonderling mit dem
Polit-Establishment. Für Deutschland muss das nicht schlecht sein.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
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Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de


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