Aachener Zeitung: Kommentar zur Wahl in der Türkei:Eine saubere Wahl
Geschrieben am 28-08-2007 |
Aachen (ots) - Von Karl-Peter Hermanns / Der Schuss ist schon einmal nach hinten losgegangen. Als bei Abdullah Güls erstem Anlauf zum Präsidentenamt das Militär mit einer Intervention (besser: Putsch) drohte, ließ Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan Neuwahlen für das Parlament ausschreiben. Mit durchschlagendem Erfolg: Die Mehrheit für die islamisch orientierte Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei wuchs beachtlich. Rund jeder zweite Wähler gab ihr die Stimme - und Gül damit die Chance zum zweiten Anlauf. Die Generäle sollten eigentlich ihre Lehren aus dem Rohrkrepierer gezogen haben. Doch ist zu befürchten, dass sie ihre Rolle als "Hüter der Verfassung" ein weiteres Mal missverstehen. Dabei müsste Gül, der stets freundliche und weltgewandte Politiker, doch auch für die Militärs eine akzeptable Persönlichkeit sein. Zwar von Herkunft und Abstammung religiös geprägt, aber doch pragmatisch im Handeln und gemäßigt in seinen Ansichten. Der Westen jedenfalls begegnet ihm mit Wohlwollen, hat an seiner Arbeit als Außenminister nichts auszusetzen gehabt. Auch die Kommentare aus den europäischen Hauptstädten und der EU-Zentrale in Brüssel sollten den Generälen zu denken geben. Überall wird der demokratisch saubere Wahlprozess gelobt. Und niemand stellt die Integrität des neuen Präsidenten in Frage. Im Gegenteil: Gül traut man zu, eine Politik der nationalen Aussöhnung in die Wege zu leiten. Und die hat die Türkei wirklich dringend nötig. Die alte Machtelite hat sich mit den Veränderungen in der Gesellschaft längst noch nicht abgefunden. Sie verweigert sich dem politischen Wechsel. Bis jetzt hat Gül die Trennung von Staat und Religion respektiert. Er hat keinen Anlass zu der Befürchtung gegeben, dass er einer schleichenden Islamisierung des Landes den Weg bereiten wolle. Im Gegenteil, vor Jahren hat er die innerparteiliche Opposition gegen seinen "Entdecker" Necmettin Erbakan mitbegründet, um die islamische Bewegung auf einen sanfteren Kurs zu steuern. Dass Güls Frau aus Überzeugung das Kopftuch trägt, mag vielen nicht gefallen. Aber er ist Staatsoberhaupt, nicht sie. Und schon aus Gründen der Gleichberechtigung darf das kein Anlass zur Kritik sein.
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