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Landeszeitung Lüneburg: Schrille Propaganda als Nährboden/Experte Alexander Häusler: Breivik sieht Terrorakt als vollstreckten antimuslimischen Kulturkampf

Geschrieben am 28-07-2011

Lüneburg (ots) - Nach dem Blutbad von Norwegen diskutiert Europa,
wie es mit dem Feind im Innern, dem rechten Terror, umgehen muss.
Werden rechtspopulistische Bewegungen unterschätzt? Alexander
Häusler, der an der FH Düsseldorf zu rechtsextremen und
antimuslimischen Bewegungen forscht, sieht Gefahren: Breivik habe die
Feindbilder mit den Rechtspopulisten geteilt.

Für seinen Anwalt ist die Sache einfach: Anders Breivik ist
geisteskrank. Ist der Attentäter nur pathologisch zu erfassen oder
werden seine kranken Ideen von vielen geteilt?

Alexander Häusler: Das Ausmaß des Terroraktes deutet sicherlich
auf das Verschwimmen von politischen Motiven mit paranoiden
Verschwörungsphantasien hin. Nichts desto trotz lässt sich der
Nährboden, aus dem sich die Rechtfertigungen und Erlösungsphantasien
des Täters entspringen, durchaus politisch deutlich rahmen. Sein
Manifest stellt dabei eine Art Datenmontage aus dem virtuellen
Selbstbedienungsladen der muslimfeindlichen Bloggerszene und deren
politischen Anker in Form rechtspopulistischer Parteien dar. Breivik
sieht sich als Vollstrecker des dort verbreiteten antimuslimischen
Kulturkampfes.

Folgerichtig hätte Breivik gerne den Niederländer Geert Wilders
getroffen. Der nennt den Attentäter jetzt einen "einsamen Idioten".
Überzeugen die Absetzbewegungen der Anti-Islamisten?

Häusler: In der Tat distanzieren sich europaweit unisono sämtliche
rechtspopulistischen Bewegungen von Breivik und seiner Tat. Auffällig
ist hierbei die inhaltliche Übereinstimmung der typischen
rechtspopulistischen Rechtfertigungen mit den Argumenten Breiviks: Er
prognostiziert in seinem Manifest, dass er von "gesteuerten Medien"
als Verrückter, Rassist und Nazi beschimpft werden wird, um damit von
den eigentlichen Problemen des "Kulturmarxismus" und der
"Islamisierung" abzulenken. Nahezu wortgleich finden wir diese
Rechtfertigungsstrategie in rechtspopulistischer Propaganda wieder:
Öffentliche Kritik an der antidemokratischen und rassistischen Hetze
wird als Terror linker political correctness diskreditiert. Die Täter
stilisieren sich selbst zu Opfern der Meinungsfreiheit durch den
"inneren Feind": die multikulturell und transnational infiltrierte
linke Politik und ihre Medien. Breivik hingegen wird von den
Rechtspopulisten als Irrer und Krimineller abgestempelt, um die Tat
von deren politischem Kontext abzukoppeln.

Auch die rechtspopulistische Bewegung "Pro Deutschland"
distanzierte sich: Breivik sei weder konservativ noch christlich.
Zumindest scheint der Massenmord nicht, wie von Breivik erhofft, als
Fanal zu wirken...

Häusler: In Blogs der deutschen Neonazi-Szene sind vereinzelt
Sympathien für das Massaker zu finden. Daraus lässt sich aber kein
Trend ableiten. Für die rechtspopulistische Parteienlandschaft kann
Breiviks Tat sogar fatal sein. Die Tatsache nämlich, dass jemand
seine terroristische Wahnsinnstat mit Verschwörungskonstrukten
rechtfertigt, die mit dem Mainstream der rechtspopulistischen und
muslimfeindlichen Bloggerszene identisch sind, wirft natürlich die
Frage nach den Folgewirkungen solch schriller Propaganda auf.

Die Ideenwelt des Attentäters wurzelt in Anti-Islam-Blogs. Er
fabuliert von mehreren Terrorzellen. Glaubwürdig?

Häusler: Dazu kann man beim Stande der Ermittlungen seriös noch
nichts sagen. Breiviks Selbsteinordnung als Teil einer
paneuropäischen Widerstandsbewegung ist ebenso wenig zu belegen wie
die behauptete Existenz weiterer Terrorzellen.

Welche Schnittmengen sehen Sie im Weltbild des Terroristen zu
rechtspopulistischen Bewegungen bzw. Parteien wie Tea Party, SVP, FPÖ
oder der English Defense League?

Häusler: Der Erfolg des antimuslimischen Rechtspopulismus speist
sich aus der kulturreligiösen Umdeutung traditionell rassistischer
wie auch antisemitischer Feindbildstereotype: der Zerstörung
angestammter Gemeinschaften durch eine multikulturell globalisierte
Gesellschaft symbolisiert im Islam. Das äußere Feindbild Islam findet
seine Entsprechung im "inneren Feind", dem linken Internationalismus
und Multikulturalismus. Während die rechtspopulistischen Erfolge
einhergehen mit einer proklamierten Abkehr vom Faschismus und einer
taktischen Inanspruchnahme demokratischer Prinzipien, mischen sich in
den virtuellen Kommunikationsnetzwerken rechtsorientierter
muslimfeindlicher Bewegungen völkische Untergangsszenarien mit
aggressiver Widerstandsrhetorik. Breiviks terroristische Tat und
deren Rechtfertigung weisen auf die möglichen Konsequenzen solcher
Feindbildkonstruktionen.

Breivik stilisiert sich als "Tempelritter", hofft auf den
konservativen Katholizismus als Abwehrbollwerk gegen Multi-Kulti.
Käut er nur die laufende Identitätsdebatte wieder, in der die
,,Ausländerfrage" zu einer "Kultur- und Religionsfrage" umformuliert
wird?

Häusler: Dieser verquere Religionsbezug hat zwei Muster. Er speist
sich in der Tat zum einen aus der kulturreligiösen Umdeutung des
Rassismus in der rechtspopulistischen Parteienlandschaft. Da wird die
klassische "Ausländer raus"-Parole ersetzt durch die Warnung vorm
drohenden Untergang des christlichen Abendlandes. Zum zweiten
verweist dieser Religionsbezug auf einen in diesen Kreisen gepflegten
Widerstandsmythos -- den von einem Jahrhunderte währenden Kampf
zwischen Christen und Muslimen. Der terroristische Mord wird
gerechtfertigt mit der Notwendigkeit von Widerstand gegen den
Untergang des Abendlandes durch die "Islamisierung" und deren
willfährigen linken Helfeshelfern. Die historischen Anleihen von
Breiviks terroristischem Kulturkampf werden auf dem Deckblatt des
Traktats symbolisch verklausuliert feilgeboten: Das Kreuz der
Tempelritter und die Zahl 2083. Beides leitet sich her aus der
prognostizierten Wiederkehr der Schlacht 1683 gegen die Türken in
Wien. Breiviks starke Bezugsquelle dabei ist der antimuslimische
Weblog "Gates of Vienna". Deren Protagonisten sehen sich explizit in
einer solchen Tradition des Kulturkampfes.

Wird Islamfeindschaft zum gemeinsamen Nenner rechtsextremer
Bewegungen?

Häusler: Nicht in Gänze. Die extreme Rechte ist gespalten.
Parteien wie etwa die NPD stehen in faschistischer Tradition und
vertreten einen klassischen Rassismus, inklusive eines
althergebrachten Antisemitismus. Daneben gibt es die modernisierte
rechtspopulistische Variante, die auch bemüht ist, propagandistisch
Abstand vom Nationalsozialismus zu nehmen. Ihr eigener Rassismus wird
unter einem kulturreligiösen Deckmantel versteckt. Das Verhältnis zur
Demokratie ist taktischer Natur: Sie wird genutzt, um rassistische
Ideen wieder hoffähig zu machen. Deshalb muss die inhaltliche
Auseinandersetzung mit den Inhalten und der Propaganda der
Rechtspopulisten stärker geführt werden als bisher.

Muss in dieser inhaltlichen Auseinandersetzung auch der Trend
beleuchtet werden, dass in Europas Krise Identitätsstiftung auch in
den Eliten eher über Abgrenzung läuft?

Häusler: Die klassischen beiden Feindbilder von Rechtspopulisten
sind der Islam und die EU, die für die kulturelle Zersetzung der
Nationalstaaten verantwortlich gemacht werden. Solch Propaganda
findet Widerhall, weil sie simplifizierte Antworten auf komplexe
Problemlagen anbietet: soziale und ökonomische Schieflagen in Europa,
mangelhafte demokratische Legitimation supranationaler
Entscheidungen, mangelnde politische Integrationspotenziale, fehlende
lebensweltliche Identifikationsangebote mit Europa etc. Demokratie
und Solidarität müssen im europäischen Kontext alltagstauglich
wahrnehmbar werden, um die Ressentiments der Rechtspopulisten
entschärfen zu können.

Von Muslimen wird nach islamistischen Anschlägen erwartet, dass
sie sich vom Terror distanzieren. Sollte man dies auch von
Islam-Hassern erwarten?

Häusler: Eine Sollbruchstelle für die Demokratie stellt nun
deutlich die Ablehnung dieser kulturrassistischen
Feindbildproduktionen dar, welche im Kern auf unsere multikulturell
verfasste Einwanderungsgesellschaft zielen. Doch geschlossene
Weltbilder, die auf derartigen Feindbildprojektionen basieren, können
nur entweder komplett aufgegeben werden oder werden mit weiteren
Rechtfertigungsmodellen ausgebaut. Letzteres können wir bereits in
der anti-islamischen Bloggerszene und am rechten Parteienrand
beobachten. Dort heißt es, mit dem Attentäter haben wir nichts zu
tun, aber die überzogene Kritik an uns zeigt doch, wie sehr unsere
ungehörte Warnung vor einem drohenden Untergang Europas durch eine
Islamisierung gerechtfertigt ist -- eine Argumentation einer sich
selbst erfüllenden Prophezeiung.

Das Interview führte

Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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