BERLINER MORGENPOST: Leitartikel: Das schwarz-grüne Signal aus Hessen;
Jochim Stoltenberg zu einer Landesentscheidung mit großer bundespolitischer Wirkung
Geschrieben am 22-11-2013 |
Berlin (ots) - Acht Wochen nach der Bundestagswahl gibt es noch
immer keine neue Regierung, dafür fegt ein koalitionspolitischer
Wirbelsturm durch Deutschland. Alte Fronten brechen zusammen, neue,
vor Monaten unvorstellbare Bündnisse tun sich auf. Wer das wie Teile
der SPD noch immer nicht glauben wollte, ist seit gestern eines
Besseren, zumindest anderen belehrt worden. Ausgerechnet aus Hessen,
dem Bundesland, in dem sich die Parteien in bis zur Feindseligkeit
gesteigerter Gegnerschaft jahrzehntelang tief in ihren Schützengräben
verbunkert hatten. Die Ankündigung des Wiesbadener
CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier, fortan mit einer
schwarz-grünen Koalition regieren zu wollen, ist bundespolitisch weit
bedeutsamer als für das Land selbst. Wenn es denn tatsächlich zu dem
Bündnis kommt, wäre es das erste zwischen CDU und Grünen in einem
Flächenland, dazu in einem wirtschaftlich blühenden. Und damit
zweifellos - anders als vor Jahren im Stadtstaat Hamburg - ein
Experimentierfeld für eine spätere Ehe im Bund. Von der waren Union
und Grüne ja schon gar nicht mehr weit entfernt, als sie sich
erstmals in den Sondierungsgesprächen nach dem 22. September
ernsthaft beschnupperten. Da gab es überraschend viel Gemeinsames.
Doch gefühlsmäßig blieb das Jawort aus. Damit das spätestens bis 2017
anders wird, hilft die Bundespartei ein bisschen nach - mit dem Okay
für Hessen wie mit der Neuauflage einer vertraulichen Gesprächsrunde
junger schwarzer und grüner Bundestagsabgeordneter zur Stabilisierung
der entdeckten Gemeinsamkeiten. Ein taktischer, ja strategischer
Schlag gegen die SPD. Die wollte mit der Öffnung zur Linkspartei
mitten in den Koalitionsverhandlungen einerseits Druck auf die Union
ausüben, andererseits sich schon mal neue Bündnisperspektiven für die
nächste Bundestagswahl eröffnen. Doch Rot-Rot-Grün ist spätestens
seit gestern nicht mehr die sichere Option, von der die SPD ausgeht.
CDU und CSU andererseits sind nach dem Abgang der FDP
koalitionspolitisch keineswegs so isoliert wie von vielen
beschrieben. Man darf das alles getrost einen koalitionspolitischen
Tsunami nennen. Und die Bedeutung für den Rest der
Koalitionsverhandlungen? Plötzlich steht die SPD unter dem Druck, den
sie auf die Union ausüben wollte. Die große Koalition ist vorerst für
die Sozialdemokraten zur letzten sicheren Machtoption geworden.
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BERLINER MORGENPOST
Telefon: 030/2591-73650
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