Schwäbische Zeitung: Anpfeifen - trotz aller Probleme - Leitartikel
Geschrieben am 11-06-2014 |
Ravensburg (ots) - Brasilien steht seit der Vergabe, ganz
besonders aber mit Beginn der Fußball-WM, im Fokus der
Weltöffentlichkeit. Wie bei den meisten sportlichen Mega-Ereignissen
wird schematisch nach Sinn und Zweck gefragt. Verkürzt: Darf sich ein
Land mit großen sozialen Problemen zum Büttel des Kommerzes machen?
Dabei wird auf Millionen-Investitionen verwiesen, die statt in
Stadien besser in marode Schulen und schlechte Krankenhäuser gesteckt
hätten werden müssen. Doch die WM ist für Kritik, Proteste und
mögliche Unruhen lediglich der Auslöser, nicht deren Ursache.
Die wachsende Zivilgesellschaft in der größten Demokratie
Lateinamerikas hat viele gute Gründe, auf die Straße zu gehen. Doch
Vorsicht: Diese Gründe ähneln den deutschen Problemen. So wird die
Regierungschefin wie Millionen andere von den USA abgehört, und das
Land ringt darum, wie es auf diesen Skandal reagieren soll. Auch gibt
es Fußball-Bosse, die es mit ihrer Steuerpflicht nicht so genau
nehmen. Da sind öffentliche Prestigebauten, die nicht fertig werden,
deren Kosten explodieren und bei deren Vergabe nicht alles mit
rechten Dingen zuging.
Die Unternehmer beklagen sich über zu hohe Steuern und Abgaben.
Die Sozialverbände hingegen kritisieren Armut und eine schlechte
Sozialpolitik. Der Polizei wird mitunter unterstellt, auf dem rechten
Auge blind zu sein. Die Nachbarstaaten fordern mehr Einsatz und
Engagement aufgrund der wirtschaftlichen Kraft des Landes. Die
Infrastruktur-Probleme werden nicht angepackt, sondern in die Zukunft
geschoben. Die Schul- und Bildungspolitik gehört zu den
umstrittensten Themen der Innenpolitik. Hohe Mieten und steigende
Kriminalität in den Großstädten kommen noch hinzu. Das sind die
Themen, die die Brasilianer umtreiben.
Es wäre vermessen anzunehmen, dass all diese Probleme durch eine
Absage der WM hätten gelöst werden können. Die WM in Deutschland war
2006 ein großes Fest. Und das trotz der profitorientierten Fifa.
Wünschen und gönnen wir Brasilien eine solche Party. Anpfeifen!
Pressekontakt:
Schwäbische Zeitung
Redaktion
Telefon: 0751/2955 1500
redaktion@schwaebische-zeitung.de
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