Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zu innerer Sicherheit/Wahlkampf
Geschrieben am 19-05-2017 |
Regensburg (ots) - Abends werden die Faulen fleißig, sagt der
Volksmund. Die maßgeblichen Innen- und Rechtspolitiker der großen
Koalition in Berlin wirken wie Pennäler, die das gesamte Schuljahr
über kaum etwas gemacht haben. Aber nun, da die Abiturprüfung
ansteht, geraten sie in hektischen Aktionismus. Die Berliner Pennäler
heißen Thomas de Maizière und Heiko Maas. Bundesinnenminister von der
Union der eine und sozialdemokratischer Bundesjustizminister der
andere. Nicht dass die beiden Minister vier Jahre lang Däumchen
gedreht hätten, doch die Hektik, mit der sie jetzt dem Bundestag noch
einmal neue Gesetze vorlegen sowie schlimme Pannen der
Sicherheitsbehörden abstellen wollen, macht misstrauisch. Die zum
Teil haarsträubenden Probleme, die nun wenige Monate vor der Wahl so
forsch angegangen werden, sind zum Teil längst bekannt. Die innere
Aufrüstung, die de Maizière und Maas jetzt betreiben, ist indes auch
- und vor allem - dem Wahlkampf geschuldet. Innere Sicherheit ist ein
enorm wichtiges, wenn nicht gar das entscheidende Thema der
Bundestagswahl im September. Wenn Menschen das Gefühl haben, ihre
Freiheit, ihr Hab und Gut, sogar ihr Leben werden bedroht - von wem
auch immer, von Einbrechern, Drogenhändlern, Terroristen, Extremisten
- dann reagieren sie sensibel und hochemotional. Das geht an den
Nerv. Wer Sicherheit nur verspricht, nur vorgaukelt, der wird
abgewählt. Wer sie dagegen bieten kann, hat gute Chancen, gewählt zu
werden. Für - möglichst umfassende - innere Sicherheit zu sorgen, ist
zugleich das wichtigste Versprechen des Staates, die elementarste
Voraussetzung für das Leben in der Gesellschaft. Innere Sicherheit
ist zwar beileibe nicht alles, doch ohne diese Grundvoraussetzung
sind Wohlstand, persönliches Wohlergehen, Glück und Zufriedenheit
nicht zu haben. Das wurde den Deutschen spätestens mit dem Anschlag
des Terroristen Anis Amri auf den Berliner Weihnachtsmarkt noch
einmal auf schreckliche Weise vor Augen geführt. Das furchtbare
Attentat mit zwölf Toten und Dutzenden zum Teil Schwerverletzten war
leider der traurige Höhepunkt von mehrfachem Behördenversagen: von
dem zuletzt kräftig personell aufgerüsteten Nürnberger Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge bis zu den Ausländerbehörden und der
Polizei in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Berlin sowie dem
Bund. Der Mörder vom Berliner Breitscheidplatz konnte sich mit
wechselnden Identitäten in Deutschland bewegen wie ein Fisch im
Wasser. Die Behörden von Bund und Ländern hatten Amri zwar auf dem
Schirm, doch man war sich im hochgelobten Gemeinsamen
Terrorismus-Abwehrzentrum einig: kein besonders böser Finger, dieser
Mann. Welche eine krasse, welch tödliche Fehleinschätzung! Der Gipfel
der Schlampereien von Sicherheitsbehörden in dem Fall war offenbar,
dass die überforderte Berliner Polizei Amri nachträglich zum
Kleinkriminellen herunterstufte. Das hauptstädtische
Landeskriminalamt wollte so vom peinlichen Versagen im Vorfeld des
Attentates ablenken. Erst ein Sonderermittler hat Licht ins Dunkel
gebracht. Hätte man seinerzeit korrekt gearbeitet, Amri säße längst
im Knast oder wäre abgeschoben worden, wie es sich für Kriminelle
gehört. Mit härteren Strafen gegen Einbrecher macht die Berliner
Koalition zwar einen Schritt in die richtige Richtung. Es drohen
höhere Strafen, auch dürfen Handy-Daten ausgewertet werden. Diese
Kriminellen - oft sind es grenzüberschreitende Diebesbanden aus
Osteuropa - können künftig nicht mit Milde vor Gericht wegen
lediglich minder schwerer Straftaten rechnen. Die Crux ist jedoch,
dass es viel zu wenige Polizisten, Staatsanwälte und Richter gibt,
die gegen diese Verbrecher vorgehen, sie überhaupt zu fassen
bekommen. Selbst in Bayern, das immer noch die höchste
Aufklärungsrate bei Einbrüchen vorzuweisen hat, kommt die Mehrheit
der Einbrecher ungeschoren davon. In der inneren Sicherheit hat
Deutschland weniger eine Gesetzeslücke, sondern viel mehr ein
Durchsetzungs- und ein Vollzugs-Defizit.
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