Allg. Zeitung Mainz: Fallstricke / Friedrich Roeingh zum Erdogan-Besuch
Geschrieben am 23-09-2018 |
Mainz (ots) - Leere Stühle wird es beim Staatsbankett mit dem
türkischen Staatspräsidenten wahrscheinlich nicht geben. Das
Bundespräsidialamt aber hat alle Hände voll zu tun, die Tafel
angesichts der zahlreichen Absagen von Bundestagsabgeordneten
aufzufüllen. Ob der Gastgeber von dieser Entwicklung überrascht wurde
oder er ob sie einkalkuliert hat, lässt sich kaum aufklären. Die
zweite Variante wäre fast schon ein genialer Schachzug. Genau das
Signal, das Erdogan geziemt: Die Spitzen des Staates empfangen den
Präsidenten des Nato-Mitglieds, des EU-Vertragspartners und der
Regionalmacht, die im Syrien-Krieg eine zentrale Rolle spielt - so
wie auch schon andere Diktatoren und Despoten von einer deutschen
Bundesregierung empfangen worden sind. Man nennt es Diplomatie. Die
Parlamentarier aber beweisen mit ihren demonstrativen Abwesenheit
Haltung. Haltung zu Erdogans Krieg gegen eine freie Presse, gegen
eine unabhängige Justiz, gegen die Demokratie an sich. Haltung zu
Erdogans fortgesetzten Versuchen, die türkischstämmige Community in
Deutschland - die ja gerade keine Gemeinschaft ist - weiter zu
spalten, gegeneinander aufzuhetzen. So gesehen dürfen sich zu den
oppositionellen Parlamentariern auch noch einige der
Regierungsfraktionen hinzugesellen. So wie bitte schön kein
Regierungsvertreter Erdogan zur offiziellen Eröffnung der
Ditib-Moschee in Köln begleiten wird. Das Staatsoberhaupt und die
Bundesregierung tun gut daran, gegenüber dem türkischen Präsidenten
nicht nur die Karte der Entspannung zu ziehen, sondern ebenso die
gebotene Abgrenzung wahrnehmbar zu machen.
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Allgemeine Zeitung Mainz
Zentraler Newsdesk
Telefon: 06131/485946
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