(Registrieren)

Westfälische Rundschau: Kommentar Müntefering "Machtspiele(r)"

Geschrieben am 13-11-2007

Dortmund (ots) - Von Klaus Schrotthofer

Politik ist ein einsames Geschäft. Franz Müntefering wusste das
besser als die meisten anderen. "Ich bin nicht so der Kumpeltyp," hat
er einmal in der ihm eigenen spröden Art gesagt. "Ich war meistens
ein Alleiner." Jetzt hört er auf mit der Politik, weil er fürchtet,
wirklich allein zu sein. Die schwere Krankheit seiner Frau ist eine
große private Tragödie - sie entzieht sich politischer Zusammenhänge,
sie überragt jedes denkbare politische Ziel. Franz Münteferings
Rücktritt ist eine respektable, eine zutiefst menschliche
Entscheidung.

Es ist naheliegend, den Rückzug des Vizekanzlers mit seinen
jüngsten politischen Niederlagen in Verbindung zu bringen und daraus
Prognosen für die Zukunft der Berliner Koalition abzuleiten. Es ist
naheliegend - und es ist falsch. Es ist so falsch wie das Bild vom
idealistischen Parteisoldaten Müntefering, es ist so falsch, wie die
Beschreibung des Arbeitsministers als einzig wahrem Nachlassverwalter
der Regierung Schröder.

Franz Müntefering hat trotz oder gerade wegen dieser Klischees
ebenso unauffällig wie effektiv Karriere in der SPD gemacht. Er hat
auch in sehr grundsätzlichen Fragen rücksichtslos seine Position
verändert, wenn er darin einen Vorteil sah, für sich oder seine
Partei. Müntefering hat Macht stets als Organisationsfrage
verstanden. Er hat Macht organisiert und einsam genutzt - manchmal,
indem er sie sehr gezielt verliehen hat.

Was er selbst kultiviert hat, die angeblich typische karge
Sprache und spärliche Mitteilsamkeit des Sauerländers, war in
Wahrheit ein sehr autoritäres Verständnis von der Mechanik der Macht.
Müntefering hat seine Partei auf diese Weise in einer
lebensgefährlichen Phase vor dem Zerreißen bewahrt, er hat
vernünftigen politischen Ideen den Weg geebnet. Er hat die inneren
Widersprüche der SPD zugleich aber zementiert. Die erzwungene
Geschlossenheit der Sozialdemokratie glich zeitweilig einer
Friedhofsruhe. Auch die Hymnen, die ihm jetzt gesungen werden, auch
der erleichterte Szenenapplaus beim letzten Parteitag können nicht
darüber hinwegtäuschen, dass die einst umjubelte SPD-Ikone Franz
Müntefering an der SPD-Basis inzwischen keine belastbare
Unterstützung mehr hatte.

Das ganze Ausmaß dieses schleichenden Machtverlustes ist in den
vergangenen Monaten offenbar geworden, seit Kurt Beck seinen
Führungsanspruch als Parteichef nicht nur - wie vorher Platzeck -
reklamiert, sondern mit demselben taktischen Kalkül und derselben
kühlen Berechnung durchgesetzt hat, mit der früher Müntefering die
SPD dominierte. Es ist eine feine Ironie, dass der Machtmensch
Müntefering ausgerechnet in dem von ihm unterschätzten Machtmenschen
Beck seinen Meister gefunden hat.

Die Entscheidung über die Nachfolge Münteferings unterstreicht
Becks Machtanspruch. Olaf Scholz, ein ebenso kompetenter wie
intelligenter Sozialdemokrat, wird seine Rolle im Kabinett ausfüllen,
ohne sie zu überreizen. Der Titel des Vizekanzlers für Frank-Walter
Steinmeier ist nicht viel mehr als ein Schönheitspreis für den
Außenminister. Kurt Beck bleibt draußen, das ist die eigentliche
Nachricht. Er führt unumstritten die SPD. Notfalls auch gegen die
schwarz-rote Koalition.

Der Rücktritt Franz Münteferings ändert deshalb nichts an der
Statik der Bundesregierung. Die Machtverhältnisse haben sich längst
verändert - seit Kurt Beck beschlossen hat, Bundeskanzler zu werden.

Originaltext: Westfälische Rundschau
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/58905
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_58905.rss2

Pressekontakt:
Westfälische Rundschau
Redaktion

Telefon: 0231/9573 1253


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

104246

weitere Artikel:
  • Märkische Oderzeitung: Die Märkische Oderzeitung schreibt zum Müntefering-Rücktritt: Frankfurt/Oder (ots) - Die große Koalition erinnert an ein Flugzeug, das gerade in eine Gewitterfront fliegt - und dabei seinen Co-Piloten verliert. Das wird schwer für den Rest der Crew. Am Ende mag eine Landung im Rahmen des vorgesehenen Flugplans stehen, es könnte aber auch dazu kommen, dass die Pilotin bessere Chancen in einer Notwasserung sieht, sprich: Neuwahlen. Originaltext: Märkische Oderzeitung Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55506 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55506.rss2 mehr...

  • Neues Deutschland: zur Lage der SPD nach der Koalitionsrunde Berlin (ots) - Die SPD ist bei den nächtlichen Koalitionsverhandlungen von der Union über den Tisch gezogen worden. Nirgends konnte sie sich durchsetzen; auch die Regelung zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere entspricht eher den CDU-Absichten. Und das, nachdem Kurt Beck neulich beim Hamburger Parteitag so etwas wie einen kleinen Aufstand gegen den Koalitionspartner ausgerufen hatte. Die Koalition sei unter ihren Möglichkeiten geblieben, resümierte höflich-süffisant der scheidende Arbeitsminister Franz Müntefering. Er mehr...

  • Saarbrücker Zeitung: DIW kritisiert arbeitsmarktpolitische Beschlüsse der Koalition Saarbrücken (ots) - Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, hat der Großen Koalition vorgeworfen, mit ihren jüngsten arbeitsmarktpolitischen Beschlüssen die konjunkturellen Gefahren zu ignorieren. "Sie nimmt die Risiken überhaupt nicht zur Kenntnis. Die Politik von Union und SPD ist auf Wahlkampfgeplänkel ausgerichtet", sagte Zimmermann der "Saarbrücker Zeitung" (Mittwoch-Ausgabe). Wichtig wäre es, wenn ein Teil der freien Mittel bei der Bundesagentur für Arbeit in eine Konjunkturreserve mehr...

  • Südwest Presse: Kommentar zum Rücktritt Münteferings Ulm (ots) - Es ist privat wie politisch manches eingestürzt in den vergangenen Monaten auf Franz Müntefering. In der Summe offenbar zu viel selbst für einen so disziplinierten und pflichtbewussten Minister und Parteisoldaten, der seit mehr als drei Jahrzehnten zu den prägenden Persönlichkeiten der SPD gehört hat. Wenn er sich nun mit 67 früher als erwartet zurückzieht, verdient das Respekt und keinen Vergleich mit Oskar Lafontaines Fahnenflucht 1999. In der Konsequenz jedoch wird "Müntes" Abschied für die SPD wie für die Berliner Koalition mehr...

  • Stuttgarter Nachrichten: zu Müntefering: Stuttgart (ots) - Mit Franz Müntefering verlässt vielleicht der letzte Vertreter eines aussterbenden Politikertypus die Berliner Arena. Müntefering hat vor allem in seiner Zeit als Vizekanzler immer stärker an Herbert Wehner Maß genommen. Für beide galt: Regieren heißt, die Disziplin zu wahren. Regieren heißt: Führen und Mehrheiten herstellen. Dafür ist die Fraktion zuständig. Und die Partei muss die Regierung stützen. Dafür soll, bitteschön, der Parteichef sorgen. Vor allem soll Politik dienen. Sie ist keine Spielwiese für Sinnsucher oder mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht