Südwest Presse: Kommentar zum Rücktritt Münteferings
Geschrieben am 13-11-2007 |
Ulm (ots) - Es ist privat wie politisch manches eingestürzt in den vergangenen Monaten auf Franz Müntefering. In der Summe offenbar zu viel selbst für einen so disziplinierten und pflichtbewussten Minister und Parteisoldaten, der seit mehr als drei Jahrzehnten zu den prägenden Persönlichkeiten der SPD gehört hat. Wenn er sich nun mit 67 früher als erwartet zurückzieht, verdient das Respekt und keinen Vergleich mit Oskar Lafontaines Fahnenflucht 1999. In der Konsequenz jedoch wird "Müntes" Abschied für die SPD wie für die Berliner Koalition nicht geringere Verwerfungen auslösen als damals Lafontaines Ausstieg. Der Vizekanzler personifiziert geradezu einen Teil des Vorrats an Gemeinsamkeiten, aus dem sich die vom Wähler herbeigeführte Zwangsehe zwischen Union und SPD nährt. Denn Müntefering steht für die unter dem Stichwort "Hartz" zusammengefasste Reformpolitik, zu der sich die rot-grüne Regierung von Gerhard Schröder unter dem Druck der wachsenden Arbeitslosigkeit und des Zwangs zum Kompromiss mit einem von der Union beherrschten Bundesrat qualvoll durchgerungen hatte. Ob der scheidende Genosse es will oder nicht; ob seine Entscheidung auch mit den Hartz-Absetzbewegungen seiner Partei oder dem Streit um den Mindestlohn zusammenhängt oder nicht - in der öffentlichen Wirkung biegt die SPD ohne "Münte" wieder etwas mehr ab vom Schröder-Kurs. Und damit zwangsläufig vom heutigen Koalitionspartner CDU/CSU, mit dem die damals begonnenen Reformen recht und schlecht fortgesetzt wurden und besonders im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit auch Erfolge zeigen. Kurt Beck könnte mit seinem sommerlichen Versuch, das Profil als Partei der kleinen Leute durch Korrekturen an den Hartz-Reformen neu zu schärfen, nun bald als Zauberlehrling dastehen, der ohne den innerparteilichen Widerpart Müntefering den Geist nicht mehr bändigt, den er gerufen hat. Das Signal, dass er als Parteichef und auch Kanzlerkandidat die volle Verantwortung übernimmt, verweigert er mit seinem Verbleib in Mainz. Die SPD wird sich zunehmend mit der Rolle der Oppositionspartei anfreunden, die lieber wieder das Fördern auf ihre Fahnen schreibt als das von Schröder/Müntefering stärker ins Zentrum gerückte Fordern. Doch eine grundlegende Neujustierung der Balance zwischen sozialem Ausgleich und investitionsorientierter Politik ist mit der Union nicht zu machen - es wäre nach gerade zwei Jahren des Aufschwungs und bei immer noch weit über drei Millionen registrierten Arbeitslosen auch viel zu früh. Der Bundeskanzlerin geht mit dem gelernten Werkzeugmacher ein verlässlicher Mitstreiter mit Augenmaß verloren; Angela Merkels Koalition wird ohne ihn instabiler. Solange die SPD im Umfragetief verharrt, wird sie sich zwar hüten, vorzeitige Neuwahlen im Bund zu riskieren. Doch die Rolle des loyalen und disziplinierten Partners, der die Regierungslinie gleichmütig auch mitträgt, wenn die Erfolge eher mit der Union heimgehen, die spielen die Sozialdemokraten so nicht mehr. Die Sprengkraft strittiger Themen wie Mindestlohn, Erbschaftsteuerreform oder Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen (Föderalismusreform II) wächst. Nicht zuletzt: Mit Müntefering geht ein weiterer der Genossen, für die schon aus persönlichen Gründen eine Zusammenarbeit mit Lafontaines Linkspartei im Bund nicht in Frage kommt. Die deutsche Innenpolitik wird weniger berechenbar ohne ihn.
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