Landeszeitung Lüneburg: Interview mit dem italienischen Enthüllungsjournalisten Marco Travaglio über Silvio Berlusconis Comeback
Geschrieben am 17-04-2008 |
Lüneburg (ots) - Romano Prodi verlässt das Politparkett. Italien wird künftig wieder von Silvio Berlusconi regiert. Der 71-jährige Medienmilliardär schaffte es mit seinem Mitte-Rechts-Bündnis "Volk der Freiheit" wieder an die Spitze. Was heißt das für Italien und für Europa? Der Turiner Journalist und Autor Marco Travaglio erklärt unserer Zeitung, warum Millionen Menschen daran glauben, dass Berlusconi das Land aus der Dauerkrise führen kann -- und warum seine Dominanz tatsächlich verheerend für Italien ist.
Deutsche tun sich schwer damit, die Popularität Berlusconis zu verstehen, der gegen viele Regeln verstoßen hat. Wie erklären Sie den Wahlsieg? Marco Travaglio: Der Grund ist: Die Medien und die Opposition haben nie nachdrücklich betont, dass es Verstöße gegen die Regeln gab. Alles wurde als vollendete Tatsache akzeptiert und verinnerlicht. Berlusconi hat seine Verstöße je nach Bedarf verschwiegen oder von seinen Medien adeln lassen. Wer die Knöpfe jeder Kamera, jedes Fernsehsenders kon"trolliert, und auch die Macht über zahlreiche Zeitungen hat, kann die Menschen alles glauben und Fakten verschwinden lassen. Fast alle Medien boten für Berlusconi wieder eine maßgeschneiderte Bühne. Wie sehr schlug dieses Ungleichgewicht ins Gewicht? Travaglio: Donnerwetter, und wie das ins Gewicht geschlagen hat! Italien befindet sich seit 15 Jahren in einer undemokratischen Lage. Berlusconis Konkurrent um das Amt des Ministerpräsidenten kämpft mit leeren Händen, während Berlusconi von vier, manchmal fünf Fernsehkanälen unterstützt wird. Es ist wie ein 100-Meter-Lauf gegen einen Rivalen, der mit 50 Metern Vorsprung an den Start geht. Abhörprotokolle bezeugten jüngst, was Sie in Ihrem Buch "Abhanden gekommene Fakten" anprangerten: Nicht nur Berlusconis Mediaset, auch der Staatssender RAI manipulierte Nachrichten zu seinen Gunsten. Wieso gelang es nicht, ein Gesetz gegen solche Interessenkonflikte zu verabschieden? Travaglio: Es ist unmöglich geworden, Berlusconi die Kontrolle über das Fernsehen zu entreißen, gerade weil ihm alle Sender gehören. Das hört sich paradox an, ist aber die schlichte Wirklichkeit. Indem er die Kontrolle über das Fernsehen besitzt, kann er alle Versuche, die Legalität zu respektieren, als kommunistisches Komplott gegen sich verkaufen. Wer auch immer von ihm verlangt, die Regeln zu respektieren, wird als kommunistischer Feind dargestellt. Selbst das Strafgesetzbuch ist ein politischer Feind, oder die Wanzen, mit denen Staatsanwälte seine Telefongespräche mit Lumpen abhörten. Sogar juristische Verfolgung gilt ihm als politischer Komplott. Silvio Berlusconi konnte eine virtuelle Realität um seine Person aufbauen und damit viele Italiener -- sogar Gegner -- überzeugen, dass es legitim ist, Politik zu machen und zugleich die Medien zu kontrollieren. Da seine Gegner den Interessenkonflikt nicht lösen können, reden sie nun nicht mehr darüber, denn würden sie es tun, würden sie ihre Glaubwürdigkeit in den Augen der Wähler verlieren. Man hätte gegen diese Situation gleich am Anfang angehen sollen, als es noch möglich war. Heute ist das Land Berlusconis Eigentum. Das britische Wirtschaftsmagazin Economist bescheinigt erlusconi "erwiesene Unfähigkeit, das Land zu regieren". Haben sich Italiener zu sehr an einen Staat gewöhnt, der schlecht funktioniert? Travaglio: Der Economist wird leider kaum in Italien gelesen. Ausländische Fernsehsender übertragen leider nicht in Italien. In Italien strahlen Berlusconis Sender aus und in den Kiosken werden Berlusconis Zeitungen verkauft. Das ist der Unterschied. Jeder internationale Beobachter sagt über Berlusconi dasselbe wie der Economist. Der italienische Beobachter sagt nicht dasselbe, weil er von Berlusconis Medien stark beeinflusst ist. Jenseits der Alpen weiß man genau, welche Probleme Italien hat. Diesseits der Alpen sind die Probleme Italiens die, die Berlusconi als solche präsentiert. Es ist eine Art ,,Truman Show", die bis zu den Alpen reicht. Silvio Berlusconis Lager schließt Faschisten, ausländer- und europafeindliche Rechtsradikale ein. Muss sich Europa nun auf das Schlimmste vorbereiten? Travaglio: Europa muss sich auf eine heftige Auseinandersetzung zwischen den freien Ländern und einem Italien einstellen, in dem autoritäres Gedankengut salonfähig ist, welches das Südamerika der 60er-Jahre gepeinigt hatte. Und das nicht nur wegen der Faschisten, sondern vor allem wegen der Affären, der geballten Medienmacht, Betrügereien und dem Willen, die europäischen Regeln zu missachten. Es wird ein Kräftemessen sein. Alles hängt von Europas Widerstandsfähigkeit ab. Ist sie gut, kann Europa Berlusconi daran hindern, Italien zu sehr zu schaden. Gibt aber Europa nach und macht Kompromisse mit Berlusconi, muss es die Konsequenzen tragen. Denn das Modell Berlusconi könnte bald in andere Länder exportiert werden. Europa sollte Italien so behandeln wie damals Jörg Haiders Kärnten, Sanktionen über das Land verhängen, Verstoßverfahren einleiten und das Land zum Pluralismus der Medien zwingen. Europa darf sich nicht nur auf Handel und Profite konzentrieren, die leider nicht alles sind. Was in Italien geschieht, ist immerhin europäische Innenpolitik. Wie wollen Europäer Lehren über Demokratie, "Freiheit und Rechtsstaat erteilen, wenn sie Berlusconi tolerieren? Travaglio: Sehr richtig. Wie kann Italien eine Auslandspolitik zum Schutz der Demokratien führen, wenn es den engs"ten Vertrauten Wladimir Putins als Regierungschef hat? Man darf nicht vergessen, dass Putin für Berlusconi ein Vorbild ist und umgekehrt. Das Blutbad in Tschetschenien wurde von Berlusconi als legitimer Kampf seines Freundes Wladimir gegen den Terrorismus abgetan. Berlusconi liebt die Politiker am meisten, die wie er undemokratisch sind. Wie Putin strebt auch Berlusconi das Amt des Staatsoberhauptes an. Dann könnte er überall mitmischen, auf allen Fernsehkanälen gleichzeitig erscheinen. Wie groß ist die Gefahr, dass Italien zu einer Semidiktatur herabsinkt? Travaglio: Es ist keine Gefahr, es ist eine Tatsache. Es ist eine Situation, in der Italien seit 15 Jahren lebt. Berlusconi herrscht und kann tun und lassen, was er will, selbst wenn er die Wahl verliert. Dieser Realität wollen nur wenige ins Auge sehen. Es ist nicht eine Diktatur im Sinne eines traditionellen Polizeistaates. Es wird kein Militär eingesetzt. Abgesehen von den Gewalttaten beim G8-Gipfel 2001 in Genua gibt es keine Folter. Aber bereits die Freiheit des Wortes einzuschränken, ist Diktatur... Travaglio: Ganz genau. In Italien herrscht ein modernes, zutiefst illiberales Medienregime, das man noch komplett analysieren muss. Da fehlt es an Präzedenzfällen. Es ist ein bisher unbekanntes und doch gegenwärtiges Phänomen. Nun werden wir es zum dritten Mal erleben, diesmal in seiner senilen Form, also vielleicht noch pathologischer und verzweifelter. Dem Land droht Nullwachstum, bei der Produktivität ist Italien Schlusslicht unter den 30 führenden Industriestaaten. Doch die Mafia ist mit einem Jahresumsatz von 90 Milliarden Euro "das führende Unternehmen". Ist die Politik machtlos? Travaglio: Die Politik könnte alles gegen die Mafia AG machen. So wie sie Bosse festnehmen lässt, könnte sie Hand legen auf ihre enormen Vermögen. Italien stagniert besonders, weil ein Drittel seiner Einnahmen schwarz erwirtschaftet wird. Es sind Arbeiter, die keine Beiträge zahlen, die weder Rentenanspruch noch Schutz haben. Es sind Unternehmer, die keinen Cent Steuern zahlen. Es sind enorme, versteckte Vermögen, die jedoch von großem politischen Gewicht sind, wenn Wahlen anstehen. Die Mafia ist das führende Unternehmen Siziliens, die N'Drangheta jenes Kalabriens, die Camorra jenes Kampaniens. Die Müll-Probleme in Kampanien kann man nur lösen, wenn man sich mit der Camorra einigt -- und nicht mit dem dort ohnmächtigen Staat. Das Mitte-Links-Lager hat schon viel getan, um dieses Problem zu lösen. Jetzt ist die Hoffnung lächerlich, dass Berlusconi die Mafia bekämpft. Denn noch im Wahlkampf-Endspurt hat er den verstorbenen blutdürstigen Mafia-Boss Vittorio Mangano, der als Stallbursche verkleidet in seiner Villa lebte, als Helden gerühmt. Berlusconi selbst steht für die Verquickung von Politik und Mafia. Prodi hat zwar die Staatsfinanzen saniert, aber in Italien grassiert Zukunftsangst. Konnte der scheidende Premier seine Erfolge nur nicht vermitteln? Travaglio: Wie hätte er es anstellen sollen? Er hätte seinen Gegner bitten sollen, die Italiener über seine Erfolge zu informieren. Berlusconi hat Romano Prodi und Tommaso Padoa-Schioppa, den besten italienischen Ministerpräsidenten bzw. den besten Finanzminister der vergangenen 15 Jahre, in seinen Medien als Ungeheuer dargestellt. Walter Veltroni, der sich in seiner Wahlkampagne der Wirtschaftserfolge der Regierung Prodis hätte rühmen sollen, sah sich gezwungen, die beiden Politiker vor der Welt versteckt zu halten, um keine Stimmen zu verlieren. In einem solchen System kann man also nicht demokratisch wählen. Ist Veltroni trotz der Niederlage ein Mann der Zukunft? Travaglio: Ich hoffe nicht. Wie könnte ein Mann, der die Wahl so krass verloren hat und die Linke endgültig zerstört hat, eine politische Zukunft haben? Er sollte sich zurückziehen. Veltroni ist allein in den Wahlkampf gezogen, hat den üblichen, instabilen Mehrparteienbündnissen den Rücken gekehrt. Markiert seine Demokratische Partei einen Umbruch in Italiens politischer Landschaft? Travaglio: Wen kümmert das jetzt? Er ist nicht ins Rennen gegangen, um nur dabei zu sein oder eine gute Figur zu machen. Er hätte gewinnen sollen, hat aber verloren. Ich halte es für keine große Neuerung, zwei Parteien unter einem Hut zu vereinen mit einem neuen Namen. Er hätte sich von seinen Alliierten nicht verabschieden sollen, die ihm zum Sieg hätten verhelfen können. Diese sogenannte Neuerung ist für mich eine Torheit gewesen, die Italien letztendlich wieder in Berlusconis Hände geliefert hat. Im Senat wird geohrfeigt, gespuckt und beschimpft. Berlusconi will neue Richter und Staatsanwälte auf ihren Geisteszustand untersucht lassen. Lega-Nord-Chef Bossi ruft zu den Waffen gegen die "römischen Schurken" auf. Was sagt das über die politische Kultur aus? Travaglio: Die Antwort ist diesselbe. Schuld ist das Fernsehen, das die schlimmsten Eigenschaften vieler Italiener hervorgehoben hat: die Vulgarität, den Opportunismus, die verbale Gewalt, den tiefsten Faschismus, der im Lande herrscht und je nach Saison einen anderen Namen trägt. Faschismus hat in Italien insgeheim immer Zustimmung gefunden. Das Interview führte Fanny Pigliapoco
Originaltext: Landeszeitung Lüneburg Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2
Pressekontakt: Landeszeitung Lüneburg Werner Kolbe Telefon: +49 (04131) 740-282 werner.kolbe@landeszeitung.de
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