Westdeutsche Zeitung: Kaczynskis Komplex = von Alexander Marinos
Geschrieben am 30-10-2006 |
Düsseldorf (ots) - Das demonstrative Lächeln der Bundeskanzlerin konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der polnische Regierungschef in Deutschland überaus kühl empfangen wurde - und zwar völlig zurecht. Während Angela Merkel pflichtgemäß diplomatisch-verbrämt von "Freundschaft" und "Kooperation" sprach, musste sich Jaroslaw Kaczynski wegen seiner deutschlandfeindlichen Politik harsche Kritik aus der zweiten und dritten Reihe der Großen Koalition anhören. Wie zu erwarten war, brachte der Besuch keine Annäherung.
Schon im Vorfeld hatte Kaczynski den Deutschen vorgeworfen, sie hegten gegenüber den Polen Vorurteile "bis an die Grenze zum Rassismus" - eine Einschätzung, die selbst wohl nicht ganz frei von Vorurteilen ist. Offensichtlich leidet die polnische Führung an einem Minderwertigkeitskomplex und betrachtet Deutschland daher gerne durch die historische Brille: Kann ein Land, das den Zweiten Weltkrieg angezettelt und verloren hat, wirklich eine Führungsrolle in Europa spielen noch vor den Polen, die zu den Opfern dieser Deutschen gehörten? Kaczynski und sein Bruder im Präsidentenamt übersehen bei dieser Fragestellung gerne, dass sechs Jahrzehnte zwischen dem Ende der Nazi-Herrschaft und der heutigen Bundesrepublik liegen und dass Polen ohne deutsche Hilfe weder einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt hätte noch Mitglied der EU geworden wäre.
Niemand verlangt, dass sich Kaczynski dafür bedankt. Er muss Deutschland auch nicht in seine Nachtgebete einschließen oder sich mit der Bundeskanzlerin anfreunden. Aber er sollte im Auge behalten, dass zwei unmittelbar benachbarte große Nationen, die wirtschaftlich und politisch eng miteinander verwoben sind, auf gute Beziehungen zueinander dringend angewiesen sind - im jeweils eigenen Interesse.
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