Westdeutsche Zeitung: Auf dem Weg zur selbstgefälligen Koalition =
von Martin Vogler
Geschrieben am 01-12-2013 |
Düsseldorf (ots) - So ein Koalitionsvertrag ist keine Bibel, hat
Altkanzler Gerhard Schröder einst gesagt. Wie wahr, denn sogar bei
der Interpretation des aktuellen Papiers passiert Verblüffendes,
bevor die SPD-Basis überhaupt zugestimmt hat. Während etwa die Union
stolz betont, dass sie den sozialdemokratischen Wunsch nach
Steuererhöhungen abgeschmettert hat, schließt bereits
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles just eine solche Mehrbelastung
der Bürger nicht aus. Und in Sachen Pkw-Maut blickt angesichts
ständig variierender Deutungen kaum jemand mehr durch: Sollen jetzt
die Inländer doch stärker belastet werden? Was ist mit Bundesstraßen?
Die Frage, wie es insgesamt weitergeht, wenn die große Koalition
Routine ist, lässt Zweifel wachsen, ob sie wirklich die beste Lösung
für das Land ist. Wobei die Angst der SPD, die Mitglieder könnten dem
Koalitionsvertrag nicht zustimmen, gemindert sein dürfte. Hannelore
Krafts Aussage, nie als Kanzlerin zu kandidieren, trägt dazu genauso
bei wie das stete Werben der Führung bei Veranstaltungen im Land.
Auch eine Umfrage unter SPD-Wählern fiel pro Vertrag aus. Daraus
lässt sich schließen, dass innerhalb von zwei Wochen auch die
Mitglieder Ja sagen dürften, zumal sie ansonsten eine Neuwahl
fürchten müssen. Vor Weihnachten wäre dann Angela Merkel Kanzlerin
einer Regierung, die eine überwältigende Mehrheit besitzt. Linke und
Grüne mögen da verbal noch so laut oder auch clever agieren -
politisch gestalten können sie im Parlament nichts. Diese Dominanz
ist zweischneidig. Ihr Vorteil ist, dass die Regierung leichter als
eine zahlenmäßig schwache Koalition sinnvolle, aber unpopuläre
Projekte verwirklichen kann. Sie trägt aber auch das Risiko, zu
selbstgefällig zu werden. Erstes Indiz ist die große Bereitschaft,
teure Wohltaten wie Mindestlohn und Rente mit 63 großzügig zu
"spendieren", ohne Folgen und Finanzierung wirklich zu bedenken. Zur
Selbstgefälligkeit zählt auch Horst Seehofers unglückseliger Brief an
das ZDF zum spektakulären - von beiden Seiten nicht optimal geführten
- Gabriel-Interview. Gerade eine große Koalition sollte jeden
Anschein vermeiden, dass sie demokratische Elemente wie die
Pressefreiheit mit Füßen tritt.
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