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Berliner Morgenpost: Eine Mehrheit ist eine Mehrheit

Geschrieben am 22-09-2009

Berlin (ots) - Wir erleben gerade, wie vor der Wahl ein Popanz
aufgebaut wird. Der Vorwurf: Sollte Angela Merkel eine schwarz-gelbe
Koalition nur mithilfe von Überhangmandaten erreichen, wäre ihre
zweite Kanzlerschaft illegitim. Das ist eine Behauptung, die ein
problematisches Demokratieverständnis offenbart und im weltweiten
Vergleich auch reichlich provinziell ist.
Zunächst die Fakten: Das Verfassungsgericht hat das Verfahren, mit
dem 2005 Wählerstimmen in Mandate umgewandelt wurden, für
verfassungswidrig erklärt. Die Richter sprachen sich nicht generell
gegen Überhangmandate aus, sondern gegen einen kuriosen
mathematischen Mechanismus bei ihrer Berechnung, der in manchen
Fällen bewirkt, dass ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust an
Sitzen der Landeslisten führt - oder umgekehrt. Deshalb muss das
Gesetz bis 2011 geändert werden.
Da sich im Bundestag keine Mehrheit fand, das Wahlgesetz vor jener
Frist zu ändern, ist es vollkommen legal, wenn noch einmal nach den
alten Regeln gewählt wird. Die Natur der Demokratie besteht ja darin,
widerstreitende politische Interessen in gemeinschaftlich akzeptierte
Verfahren einzubinden. Deshalb ist es gefährlich, wenn Politiker nun
den Anschein erwecken, als könnte eine Wahl, die konform geht mit den
Verfahrensweisen der deutschen Demokratie, illegitim sein. Das ist
sie nicht.
In der Argumentation von Grünen, SPD und Linken scheint aber auch ein
radikal-puristisches Verständnis von Verhältniswahlrecht auf. Ganz
so, als könnte nur ein Modus, der die abgegebenen Zweitstimmen eins
zu eins in Mandate übersetzt, wirklich demokratisch sein. Dabei ist
die Bevorzugung der Erststimme und damit des Wahlkreiskandidaten
gegenüber abstrakten Landeslisten eines der wenigen personalen
Elemente eines Systems, das ansonsten gänzlich den Parteiapparaten
überantwortet ist.
Wie provinziell diese Vorstellung ist, zeigt ein Blick ins Ausland.
Sowohl die USA mit ihren Wahlmännern als auch Großbritannien pflegen
das Mehrheitswahlrecht, das eine Zersplitterung in Kleinstparteien
verhindert, wie sie beim Verhältniswahlrecht leicht eintritt. Davon
können etwa Israelis und Italiener ein Lied singen, die kein
Mehrheitswahlrecht kennen. Da deren Regierungen in den 90ern immer
instabiler wurden, wollten beide Länder klarere Verhältnisse
schaffen. In Israel wurde 1996 die Direktstimme für den Premier
eingeführt neben der für Parteien. In Italien bekommt die stärkste
Partei einen "Bonus", der die Mehrheit stabilisiert. All das ist
keineswegs undemokratisch.
Die Deutschen hingegen hatten über Jahrzehnte eine überschaubare
Parteienlandschaft mit relativ stabilen Regierungen. Im neuen
Fünfparteiensystem sind die Überhangmandate nun aber notwendiger denn
je, um Mehrheiten jenseits der großen Koalition zu ermöglichen. Diese
zum Dauerzustand zu machen schadet der Demokratie mehr als der kleine
Bonus der Überhangmandate. Problematisch ist eher, dass nicht immer
die stärkste Partei vom Überhang profitiert. Das vor allem gilt es zu
ändern.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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