BERLINER MORGENPOST: Die Regierung muss auch bei sich selber sparen Hajo Schumacher sieht angesichts der Streichliste eine neue Gerechtigkeitsdebatte aufziehen
Geschrieben am 07-06-2010 |
Berlin (ots) - Morgens im Schöneberger Zeitungsladen. Alle sind
sie da. Der frühpensionierte Lotto-Spieler, die alte Dame mit dem
Dackel, der Müllmann, der sich Kippen holt. Einziges Thema: die
Sparliste der Bundesregierung. Einhellige Meinung: "Die da" sollen
erst mal bei sich anfangen. "Die da", das sind Politiker und Banker,
Berater, vielleicht auch Journalisten. "Die da" werden oftmals als
Verschwörer wahrgenommen, die das Volk ausquetschen, aber selbst
weiterhin in Champagner baden. "Die da" machen eben immer, was sie
wollen. Deutschland steht mal wieder vor einer Gerechtigkeitsdebatte,
so, wie sie das Land 2003/2004 erlebte, als Kanzler Schröder mit den
Hartz-Gesetzen vors Volk trat. Damals lahmte die Wirtschaft, fast
fünf Millionen Arbeitslose drückten auf den Haushalt, die Stimmung
war mies. Sechs Jahre später ist die Laune nicht besser, aber die
Ursachen sind andere. Die Löcher in den Kassen stammen heute weniger
aus überzogenen Tarifabschlüssen oder trägen Bürgern, sondern sind
vor allem Folge einer Finanzkrise, die nicht die Normalverdiener
ausgelöst haben. Im Gegenteil: Die Nettoeinkommen sind kaum
gestiegen, dafür verschwanden vielerorten Vergünstigungen wie
Urlaubs- oder Weihnachtsgeld. Die Zahl der Kleinstverdiener ist
rapide gewachsen: Menschen, die trotz ehrlicher, harter Arbeit von
ihrem Lohn nicht mal ein bescheidenes Leben führen können, dafür oft
aber brutale Hire-and-fire-Verträge erdulden. Auf der anderen Seite
hat sich die Finanzwirtschaft prächtig erholt: Boni und Renditen
sprießen wie eh und je. Selbst wegen Unfähigkeit Gefeuerte sind nicht
in die Armut gefallen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat vom
Start weg ebenfalls keinerlei Bescheidenheit vorgelebt, sondern
reichlich neue Posten erfunden. Dass ausgerechnet das
Entwicklungshilfeministerium, das die FDP abschaffen wollte, einen
Nachschlag zum Etat forderte, ist ein tückisches Symbol für die
Selbstbedienungsmentalität einiger, die die gesamte politische
Klasse, zu Unrecht, mit dem Generalverdacht der steuerfinanzierten
Fettlebe infiziert. Kaum nachvollziehbar auch, dass
Ex-Bundespräsident Köhler nach seiner Flucht aus Bellevue und
Verantwortung bis ans Lebensende mit monatlich 17000 Euro
entlohnt wird. Arbeitnehmer, die freiwillig kündigen,
bekommen keine Lohnfortzahlung. Wofür auch? Gerechtigkeit ist eine
gefühlte Größe, die sich jeder Mensch nach seiner Perspektive
zusammenbastelt. Dennoch täte die Bundesregierung gut daran, auch in
den eigenen Reihen nach Sparpotenzial zu fahnden. Schon richtig:
Damit werden die nötigen Milliarden nicht aufzubringen sein. Aber die
Wirkung von Symbolen ist nicht zu unterschätzen. Wenn "die da" mit
gutem Beispiel vorangehen, wird der gefühlten Gerechtigkeit bei den
Bürgern zumindest ein wenig Genüge getan. Sparen ist nicht nur ein
ökonomische, sondern auch eine psychologische Kunst.
Originaltext: BERLINER MORGENPOST
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BERLINER MORGENPOST
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